© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

Die marktkonforme Heilslehre der digitalen Bildung
Erziehung zur Unmündigkeit

Auf 177 Seiten des im Dezember 2021 unterzeichneten Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung kommt der Begriff „digital“ in allen möglichen Varianten 268mal vor. Egal, ob Gesundheitssystem, Wirtschaftsförderung oder Umweltschutz: Alles müsse vollständig und schneller digitalisiert werden. Einer der vorderen Plätze bei diesem Wettrennen ins digitale Zeitalter ist für die neue Heilslehre der „digitalen Bildung“ reserviert. Flächendeckend soll sie Lehr- und Lernprozesse an deutschen Schulen automatisieren und perspektivisch dem absehbaren Lehrermangel vorbeugen. Für Ralf Lankau, Professor für Digitaldesign, Mediengestaltung und Ethik (Hochschule Offenburg) ist das keine gute Idee. Denn der umfassende Einsatz Künstlicher Intelligenz im Unterricht bedeute die brutale Abkehr von einer für demokratische Gesellschaften existentiellen „Erziehung zur Mündigkeit“ (Theodor W. Adorno). Nicht mehr die Vermittlung und Aneignung von Wissen und Können, das zum Verstehen von Zusammenhängen, zu selbstbestimmtem Denken und Handeln befähige, stehe im Mittelpunkt des Unterrichts, sondern Repetitionswissen und Prüfbarkeit. Parameter des Arbeitsmarkts wie Effizienzsteigerung und Kostenreduktion würden mit der Digitalisierung auf schulische Lernprozesse übertragen. Lernen werde zur Selbstoptimierung nach externen Vorgaben, so daß die deutsche Bildungspolitik Pädagogik durch das neoliberale betriebswirtschaftliche Modell der Chicago School of Economics ersetze. Das Erziehungsziel dieser „Datifizierung der Bildungskultur“ reduziere sich deshalb auf die Gewinnung von „Humankapital mit geprüften Kompetenzen“ (vorgänge, 241/2023).

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