Der schönste Dank, der einem Dichter werden kann, ist ihm gewährt, wenn einzelne seiner Gedichte wie Volkslieder fortleben, ohne daß seine Person und sein Name dabei noch eine Rolle spielen. Kaum einer dachte an August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, vor hundertfünfzig Jahren am 19. Januar 1874 in Corvey gestorben, wenn er seine Kinder möglichst bald dahin bringen wollte, „Alle Vöglein sind schon da“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, „Kuckuck, Kuckuck, ruft‘s aus dem Wald“ oder „Winter ade, scheiden tut weh“ auswendig singen zu können.
Bekannt blieb er lange als Verfasser des Liedes der Deutschen, der Nationalhymne, deren Text allerdings weitgehend in völlige Vergessenheit abgedrängt worden ist, seit Deutsche so allgemein weltoffen geworden sind, daß sie meist davor zurückscheuen, sich zu ihrem Volk und der Nation, die ohnehin dem Geltungsbereich des Grundgesetzes weichen mußte, festlich und froh zu bekennen.
Dieses Lied wurde von Hoffmann, der seinem verbreiteten Namen mit dem ihm beigefügten Geburtsort Fallersleben Unverwechselbarkeit verleihen wollte, auf Helgoland am 26. August 1841 geschrieben und schon im September als Flugblatt gedruckt. Es sollte die vaterlandslosen Deutschen mahnen, nicht neidisch nach Reuss-Lobenstein zu schauen, wie er bei anderer Gelegenheit spottete, dieser über allen stehenden „Nation der Nationen, / Wo man noch weiß zu belohnen“ und gar zu seufzen: „O wäre ich doch auch so einer, / Ein Greiz-Schleiz-Lobensteiner.“
Nein, Bayern, Preußen, Schwaben, Sachsen oder Österreicher sollten sich auf das gemeinsame Vaterland besinnen, auf Deutschland, das ihre jeweiligen Sonderformen gelten läßt, aber sie in Einigkeit versöhnt, die Voraussetzung für Recht und Freiheit. Hoffmann von Fallerleben folgte mit solchen Absichten dem Wiener Schriftsteller Heinrich Joseph von Collin, der 1808 forderte, „Österreich über alles, wenn es nur will“, diese Forderung aber später änderte: „Wenn es nur will, / ist immer Deutschland über alles“, so hieß es 1813.
Weder Collin noch Hoffmann dachten an ein „Deutschland, Deutschland, first of nations, / Over all in this wide world“, wie eine polemische englische Übersetzung um 1900 behauptet. Sie wünschten aber ein Deutsches Reich, frei von französischen Interventionen, um die – angeblich – ursprünglich gallischen Rheinländer wieder mit ihrer Urheimat, der Gallia, zu vereinen und sie der einen, unteilbaren, großen Nation einzufügen, endlich erlöst von der Selbstentfremdung, in der sie durch aggressive Germanisierung seit bald tausend Jahren schmachten mußten. Im Großfranzösischen Reich mochten sich Franzosen ihres nationalen Heils vergewissern, Deutsche witterten für sich in einem solchen Gebilde nur Unheil und Unterdrückung.
Das Symbol für deutsche Freiheit, für Deutschheit, für den Volksgeist und das deutsche Vaterland, wurde für sie und für viele andere, die sich nach der Wiedergeburt des Vaterlandes sehnten, der Rhein. 1840 kam es einmal mehr zu heftigen Spannungen mit Frankreich, die einen Ruf wie Donnerhall bewirkten: „Sie sollen ihn nicht haben, / den freien, deutschen Rhein“, dichtete Nikolaus Becker. Die Deutschen stimmten immer neue Rheinlieder an, die zugleich Kräfte wecken sollten, um herauszufinden aus der Enge des stillen Sonderlebens mit seinem Schlendrian, Hofratstiteln und Konduitenlisten, Steuer-, Zoll-, Tauf-, Trau-und Totenscheinen, viel hundert Zensorinstruktionen und Polzeimandaten, was alles zusammen und noch weitere Narrheiten den deutschen Nationalreichtum ausmache, wie ihn Hoffmann von Fallersleben im Mai 1841 resümierte.
Die patriotische Begeisterung gab ihm 1843 ein festes Zutrauen in den deutschen Michel, den in Schlummer zu bringen sich Regierungen und deren Gefolgschaften mit allerlei Dingen und Mitteln vergeblich bemühten. „Nein, Michel ist munter und wird hinfort wachen / Und läßt sich kein X für ein U hinfort machen, / Ihr möget zensieren und euch abkasteien – / Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein“.
Der ehrliche Michel hörte das gern, aber er mußte sich 1840 von Hoffmann auch sagen lassen, allzu brav und geduldig zu sein sich in alles zu fügen, was ihm die immer nur fürsorgliche Obrigkeit zumutete: „Wir sind nichts weiter als die Bienen, / Arbeiten müssen wir und dienen / Und statt des Stachels gab Natur / Uns eine stumpfe Zunge nur, / Die dürfen wir nie unsretwegen / und nur im Dienst des Königs regen“, oder zeitgemäß gesprochen, der Wertegemeinschaft und ihrer Sachwalter.
Solche Skepsis veranlaßte ihn 1844 zu seiner uralten Nationalhymne, daß den Deutschen nichts ihr Eigen als stabilen Besitz nennen können; Verfassung, Recht, Ordnung, Freiheit, das läßt sich untergraben mit Hilfe des Lehr- und Gewissenszwangs, der erwünschten Vereinheitlichung der Gesinnung. „Sein ist die Hoffnung nur allein. / Erhalt uns, Gott, dies letzte Gut, / den frischen, frohen Hoffnungsmut, daß nie das deutsche Herz erschlafft / Und freudig strebt und wirkt und schafft, / Daß kommen mag, daß kommen mag / Für Deutschland bald ein Ostertag!“ Sein ist die Hoffnung nur allein, das ist bis heute die uralte Nationalhymne geblieben, die Verse gesungen auf die Melodie zu: Was ist des Deutschen Vaterland? Es ist und bleibt Deutschen nur die Hoffnung!
Wegen des Liedes der Deutschen, solcher und anderer Verse, mit denen er das Los der deutschen Arbeitsbienen in ihrer Verantwortungsgemeinschaft und ihr unterwürfiges Laufen am Gängelband der Behörden mit sanfter Ironie tadelte, verlor er 1842 seinen Lehrstuhl für Germanistik in Breslau und seine preußische Staatsbürgerschaft. Die Begründung lautete, „der Verfasser (habe) auf solche Weise der öffentlichen Ordnung, den Landesherrn und bestehenden Zuständen feindselige, die Gemüter verwirrende und zu Mißvergnügen aufregende Gesinnungen und Ansichten durch die von ihm verfaßten und unter seinem Namen dem Druck übergebenen Lieder verbreitet“. Schöner könnte es heute auch nicht eines der vielen Ämter für Verfassungsschutz ausdrücken, die sich die Mainzer Zentralkommission zum Vorbilde nehmen, die 1819 eingerichtet wurde, um den Staat, Behörden und Minister vor abschätzigen Meinungen zu schützen, die das System destabilisieren könnten.
Hoffmann von Fallersleben verlor nicht den Mut. Er fand im vielgestaltigen Deutschland immer wieder ein vorübergehendes Exil, ständig von der Polizei und Denunzianten beobachtet, die von Amts wegen dazu angehalten waren, Schwurblern und Verschwörungstheoretikern, wie seinesgleichen heute charakterisiert werden, auf der Spur zu bleiben. 1846 veröffentlichte er sein unartiges Lied über die deutschen Minister und politischen Vormunde: „Die deutschen Minister sind kreuzbrave Leut’, / Nur muß man nicht verlangen, daß sie auch sein g’scheut. / Sie halten das Volk für entsetzlich dumm, / Und denken: wer schweigen muß, sei eben stumm. / Sie meinen, sie könnten durch ein Verbot / Die Ideen und Gedanken gar schnell schlagen tot. / Sie meinen gar vieles und mancherlei, / Doch nie, daß es gehet mit ihnen vorbei!“
Es ist kein Wunder, daß er mit solch rüstigen Reimereien in einer Zeit, in der dauernd daran erinnert wurde, untereinander, aber vor allem gegenüber Autoritäten, den dankbaren Respekt nicht zu vernachlässigen, Ärgernis erregen mußte; ein Umstand, der manchen ehrlichen Michel als Freund der Freiheit in den Harnisch brachte, um ihn vor Torheiten und Willkür tapfer zu schützen.
Hoffmann von Fallersleben fiel nicht besonders wegen theoretischer Energien auf. Verfassungsfragen beschäftigten ihn nicht sonderlich. Er fürchtete die Leere der abstrakten Allgemeinheiten, den pedantischen Kleinsinn und den Parteienhaß, der mit den ideologischen Programmen unweigerlich zusammenhängt. Parteien, die sich in Deutschland gerade erst bildeten, mißtraute er, darin einig mit dem Lyriker Ferdinand Freiligrath, der 1841 sich darauf berief: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte, / als auf den Zinnen der Partei“.
Mit diesem Bekenntnis erregte er den Verdruß der liberalen Gesinnungsterroristen wie Georg Herwegh, der alsbald auch mit Hoffmann von Fallersleben jeden Umgang abbrach. Für diesen Mann eindeutiger Parolen des Entweder-Oder, nur kein Gemunkel, galt nur: „Partei, Partei müssen die Kerls nehmen! Predige mir keiner Geduld! Es ist zum Schwanzausreißen, daß man das Volk nicht hinaufreißen kann ins Gebiet des Idealismus.“ Doch der Parteigeist fesselte, wie Hoffmann von Fallersleben vermutete, die geistige Selbständigkeit, übrigens auch von parteilichen Regierungen, die sich ihm gegenüber gerade nicht als neutraler Sachwalter des allgemeinen Wohls verhielten, sondern als Vertreter ihrer ureigensten Interessen und ihres Verlangens, nicht durch Widerspruch gestört zu werden.
Georg Herwegh und viele andere Parteigeister glichen einem umgekehrten Schlemihl, die ihren Körper verloren und nur noch ihren Schatten behalten hatten. Sie waren in der Theorie unendlich weit, Virtuosen im unkonkreten Denken und fern aller praktischen Vernunft. Hoffmann von Fallersleben kam es zugute, daß er es als Sprachforscher mit dem unmittelbaren Leben zu tun hatte, dessen wichtigstes Mittel die Sprache ist, um ein durch Konvention, Sitte und Brauch, geregeltes Zusammenleben zu ermöglichen. Als Deutscher und Wissenschaftler war er dem Volk zugewandt. Der abstrakte Staat könne in der Idee noch so geistreich ersonnen sein, er empfängt sein Leben erst durch das Volk, durch die Deutschen. Für die solle ihr Staat als Volksstaat eingerichtet werden, in dem sich deutsche Mannigfaltigkeit phantasievoll und frei vom einzelnen über freie Körperschaften bis hinauf zu den Bundesstaaten entfalten kann und damit einen wahren und wirklichen nationalen Reichtum aufhäuft.
Hoffmann von Fallersleben erlebte noch die Reichseinigung im Kriege von 1870/71, an der er begeisterten Anteil nahm, mittlerweile hochgeachtet als Patriot, Gelehrter und als freier, selbst gemachter Mann, ein Inbegriff deutscher Freiheit, die sich im Leben und nicht in der Theorie entwickelt. Es ist nicht vergeblich, sich auf ihn zu besinnen, gerade abermals in den allerneuesten Zeiten, ähnlich denen des jungen Hoffmanns, die sein Freund Karl Immermann, der 1836 den großen Zeitroman „Die Epigonen“ verfaßte, mit einem auf unruhiger See vor sich hin taumelnden Schiff verglich, dessen Insassen an einer moralischen Seekrankheit leiden, deren Ende kaum absehbar ist.
Dr. phil. Eberhard Straub, Jahrgang 1940, habilitierter Historiker, Publizist und Buchautor, war Feuilletonredakteur der FAZ und Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin.