© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

Schweiz steht an der Spitze
Libertäre Institute: Menschliche und ökonomische Freiheit ist meßbar
Erich Weede

Sozialwissenschaftler versuchen, Merkmale von Gesellschaften zu messen. Ökonomen erfassen deren volkswirtschaftliche Leistung durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder den Wohlstand durch das BIP pro Kopf oder die Ungleichheit durch den Einkommens- oder Vermögensanteil der oberen 20 Prozent. Psychologen erfassen die Leistungsbereitschaft oder die kognitiven Fähigkeiten, wovon sich auch nationale Durchschnittswerte bilden lassen. Von derartigen Maßen sollte man keine Perfektion erwarten, Brauchbarkeit reicht. Außerdem liefern gerade die Mängel bestimmter Maße Anreize zu ihrer Verbesserung.

Erst seit ungefähr 50 Jahren wird das Ausmaß der wirtschaftlichen Freiheit von Nationen durch Indices erfaßt und der Versuch einer umfassenderen Freiheitsmessung ist noch keine zwei Jahrzehnte alt. Das libertäre Cato-Institut in Washington hat in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Fraser-Institut in Vancouver Freiheitsskalen entwickelt. Es gibt zwei Komponenten: die wirtschaftliche und die persönliche Freiheit. Eine Gesellschaft gilt als um so freier, je sicherer die Rechtsstaatlichkeit ist, je geringer das Ausmaß der Kriminalität ist, je weniger der Staat die Menschen beschränkt, je mehr Religionsfreiheit gegeben ist, je mehr Assoziations- und Versammlungsfreiheit, je freier die Meinungen sind und je mehr die Gestaltung sozialer Beziehungen den Individuen selbst überlassen bleibt.

Eintreiben von Steuern oder die Rekrutierung für den Kriegsdienst

Die Wirtschaft gilt als um so freier, je niedriger die Staats- und Steuerlastquoten sind, je freier die Märkte und der Handel sind, je sicherer die Eigentumsrechte und je stabiler das Geld ist, je weniger die Wirtschaft durch Regulierung gegängelt wird. Manchmal liegen quantitative Ausgangsdaten vor, etwa bei Kriminalitätsquoten oder Inflationsraten, aber oft sind höchstens möglichst sachkundige Einschätzungen möglich. Jedenfalls liegen jetzt für 165 Länder, in denen 98 Prozent der Menschheit leben, und das Jahr 2022 Daten vor.

Bei der Rangreihe der Freiheitlichkeit steht die Schweiz an der Spitze. Jenseits der eidgenössischen Grenzen sind die Freiheitsdefizite überall größer. Es fällt auf, daß auf den ersten Plätzen keine großen, wirtschaftlich in ihrer Region dominanten und erst recht keine Länder mit Großmachtambitionen vertreten sind. Unter den freiheitlichsten Zehn sind die Niederlande das volkreichste Land. Japan findet man erst auf Platz 16, Deutschland auf 18, Großbritannien auf 20, die USA auf 23, Frankreich auf 42, Rußland auf 119 und China auf 152. Es fällt auch auf, daß die freiheitlichen Länder oft wohlhabend sind, demokratisch regiert werden und meist der westlichen Zivilisation angehören. In Anbetracht der Zugehörigkeit der meisten freiheitlichen Länder zur westlichen Zivilisation kann man eine hohe Affinität freiheitlicher und westlicher Werte behaupten.

Der beim Cato-Institut verwendete Freiheitsbegriff wird nicht jedem gefallen. Denn es geht um Freiheit von Zwang, also den Freiheitsbegriff, der unter anderem im Denken des Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek zugrunde gelegt wird, nicht um Freiheit von Not. Freiheit von Zwang wird manchmal auch als negativer Freiheitsbegriff im Gegensatz zum positiven Freiheitsbegriff bezeichnet. Ein Problem bei positiven Freiheitszielen ergibt sich daraus, daß der Kampf für positive Ziele Ressourcen verbraucht, die der Staat nur durch Zwang erhalten kann, beispielsweise beim Eintreiben von Steuern oder der Rekrutierung für den Kriegsdienst. Das gilt innerstaatlich wie zwischenstaatlich. Wer, wie viele Großmächte, die internationale Ordnung gestalten will, muß wegen dieses ambitionierten Ziels seine Bürger stärker belasten, als wer sich mit dem Heimatschutz zufriedengibt. Die Schweiz schützt ihre Bürger gleich doppelt vor Überlastung. Die Kleinheit des Staates schützt davor, sich allzuviel zuzutrauen. Die direkte Demokratie gibt dem Bürger auch zwischen den Wahlen die Möglichkeit, von den Eliten ersonnene Zumutungen abzulehnen, wenn die Bürger ihre Ressourcen lieber für individuelle als kollektiv vereinbarte Ziele einsetzen wollen.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn.

 www.fraserinstitute.org

 www.cato.org