© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

„Fragmentierung der Weltwirtschaft“
IW-Studie: Der Nahostkonflikt wirkt sich eher indirekt auf die deutsche Wirtschaft aus / Höhere Risiken auf den Ölmärkten
Fabian Schmidt-Ahmad

Der neu aufgeflammte Nahostkonflikt wirkt sich nicht nur politisch auf unser Leben aus. Auch wirtschaftlich hat der Terrorangriff der Hamas auf Israel negative Folgen. Wie schwer diese für Deutschland sind, versucht die Studie „Auswirkungen des Nahostkonflikts auf die deutsche Wirtschaft“ des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW-Report 1/24) zu bestimmen. Was nicht so einfach ist, da in einer global verflochtenen Wirtschaft viele Abhängigkeiten nicht so unmittelbar ersichtlich sind.

Beispielsweise findet der direkte wirtschaftliche Austausch mit Israel auf einem so geringen Niveau statt, daß keine Beeinflussung zu erwarten wäre. „Die Handelsverflechtungen Deutschlands mit Israel sind sehr gering. Exporte nach Israel machten im Jahr 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur 0,4 Prozent der deutschen Ausfuhren aus“, so die drei Autoren der IW-Studie. Schaut man sich jedoch längerfristige Kooperationen an, dürften die Folgen dennoch spürbar sein.

Ausgerechnet in künftigen Schlüsseltechnologien besitzt Deutschland eine enge Zusammenarbeit mit Israel. So bestehe „seit langer Zeit eine enge Kooperation im Bereich Naturwissenschaften, Cybersecurity oder Medizin“. Alleine wenn Israel nun über 300.000 Reservisten einberuft, „was das Arbeitskräfteangebot im Land belastet“, hat das bereits einen volkswirtschaftlich nachteiligen Effekt. Ein Effekt, der sich auch auf die langfristigen Kooperationen mit Deutschland auswirken wird. Auch auf anderen Gebieten ist die Auswirkung auf Deutschland nicht unmittelbar ersichtlich.

Die Hauptkunden der Golfstaaten sind inzwischen asiatische Länder

Die Ölpreise und Gaspreise stiegen nach dem 7. Oktober zunächst stark an. „Der Ölpreis (Brent) erhöhte sich im Tagesmittel kurzzeitig auf über 93 Dollar, pendelte sich aber (Stand: Anfang Dezember) bei etwa 80 Dollar ein“,  so das IW. Der Gaspreis stieg zwischenzeitlich auf über 54 Euro pro Megawattstunde (MWh) und bleibt seitdem in etwa auf diesem Niveau. „Vor dem Hamas-Angriff auf Israel lag dieser noch bei 31 Euro/MWh. Es bestehen also Aufwärtsrisiken bei den Energiepreisen“, warnen die IW-Ökonomen.

Wie auch sonst, bedeutet ein Aufflammen des Nahostkonfliktes doch immer einen Anstieg der Energiepreise. Allerdings hat dies einen wesentlich geringeren Effekt auf Deutschland als noch in der ersten Ölkrise. Am 6. Oktober 1973 begann mit dem Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel der Jom-Kippur-Krieg. Zehn Tage später begann die Organisation der arabischen erdölexportierenden Staaten (OAPEC) die Fördermengen zu drosseln, um westliche Staaten von einer Unterstützung Israels abzubringen. Das gelang zwar nicht, aber die drastische Ölpreissteigerung stürzte den Westen in eine Rezession. Doch inzwischen sei „die Abhängigkeit der westlichen Industrienationen von Importen aus dem Mittleren Osten in den letzten 45 Jahren drastisch gesunken“. Das liege zum einen an der Erschließung neuer Fördergebiete, wie „beispielsweise in der Nordsee, Alaska oder Mexiko“.

Andererseits liegt das aber auch an einer allgemeinen Abkehr Deutschlands von diesem Energieträger. Der Heizölverbrauch ist rückläufig. Die Hälfte der Wohnungen wird mit Erdgas beheizt. „Die Hauptkunden der Golfstaaten sind inzwischen asiatische Länder – allen voran China, aber auch Indien.“ Das ist insofern bedeutsam, da sich der Iran vielleicht entschließen könnte, „die Straße von Hormus im Rahmen einer Eskalation des Nahostkonflikts zu sperren“ und den Ölexport der Golfregion weitgehend zum Erliegen bringen könnte.

Das ist aus Sicht der Autoren eher nicht zu erwarten. „Da der Iran sich aber gerade mit den dann am meisten betroffenen Ländern China und Indien im Rahmen der BRICS zusammengeschlossen hat, scheint ein solch drastischer Schritt heutzutage unwahrscheinlich.“ In der Tat stößt das robuste Vorgehen der US-Marine gegen Huthi-Rebellen im Roten Meer, wo zuletzt zwei Piratenschiffe bei dem Versuch, einen Frachter zu entern, versenkt wurden, auf geringe Proteste des Irans.

Das heißt aber keineswegs, daß damit die Erdölwaffe der arabischen Staaten für Deutschland wirkungslos geworden wäre. Die Abhängigkeiten haben lediglich gewechselt. „Allerdings hat Deutschland auch zunehmend Verflechtungen mit den arabischen Staaten, von denen einige eine Mittlerrolle im Nahostkonflikt eingenommen haben und das Vorgehen Israels im Gazastreifen kritisch sehen.“ Besonders plastisch wird das an der Beziehung Deutschlands zu Katar.

Eskalation kann geoökonomische Blockbildung forcieren

Katar gilt zwar einerseits als ein wichtiger Rückzugsraum und zumindest neutraler Dulder der Hamas. Doch durch Versuche der Bundesregierung, aus der Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen herauszukommen, geriet der Golfstaat in die Rolle eines wichtigen Handelspartners für umfassende Flüssiggaslieferungen (LNG), die mit der Bundesregierung ab 2026 vereinbart wurden. Zudem ist die deutsche Industrie auf viele Nebenprodukte der Erdölindustrie angewiesen. Eine Teuerung wird auch hier ihre Spuren hinterlassen.

Der gewichtigste, zugleich aber am schwersten zu bestimmende Effekt wird die Umgestaltung der Weltwirtschaft sein. „Ein anderer wichtiger, wenn auch schwer einzuschätzender Transmissionskanal stellt die weitere Fragmentierung der Weltwirtschaft dar. Die Lieferketten mußten sich im Zuge des Angriffskriegs Rußlands auf die Ukraine bereits neu sortieren. Diese noch fragilen Strukturen könnten also infolge eines eskalierenden Nahostkriegs wieder zerbrechen und zu weiteren Verwerfungen führen.“

„Nicht zuletzt kann eine Eskalation im Nahen Osten die geoökonomische Blockbildung forcieren mit all den sie begleitenden Handels- und Standorteffekten“, ziehen die Autoren das Fazit. „Insgesamt besteht die Gefahr, daß bereits bestehende geopolitische Spannungen zwischen den USA und China oder Europa und Rußland zunehmen.“ Deutschland als Exportnation, deren vielfältige internationale Verflechtungen gerade aus seiner Mittellage resultieren, dürfte durch eine solche erneute Blockbildung in der Welt wohl eher verlieren.

Bereits die Trennung von Rußland bedeutete einen herben Rückschlag für die deutsche Wirtschaft. Bis zu einen gewissen Grad wurde das durch eine wachsende Kooperation mit China wieder wettgemacht. Doch droht die amerikanisch-chinesische Konkurrenz zu einer offenen Konfrontation inklusive fester Lagerbildung auszuwachsen, wäre es für Deutschland verheerend, erneut wirtschaftliche Verbindungen kappen zu müssen.

IW-Report 1/24: www.iwkoeln.de