Rotes Meer, Mitte November vergangenen Jahres: Der Autofrachter „Galaxy Leader“ ist unterwegs von der Türkei nach Indien. Den ägyptischen Sueskanal hat er bereits weit hinter sich gelassen. Nun nähert sich das unbeladene Schiff dem Bab al-Mandab, jener weniger als 30 Kilometer engen Meeresstraße, die zwischen dem afrikanischen Dschibuti und dem Jemen auf der Arabischen Halbinsel liegt. Sie verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden.
Plötzlich nähert sich ein Militärhubschrauber. Am Heck prangen eine jemenitische und eine palästinensische Flagge. Als er auf dem Deck gelandet ist, verlassen vermummte und mit Maschinengewehren bewaffnete Männer den Helikopter. Sie betreten die Brücke, übernehmen das 189 Meter lange Schiff und zwingen es, Kurs auf die jemenitische Küste zu nehmen.
Es ist der erste Angriff der Huthi-Rebellen auf die Schiffahrt im Roten Meer, seit die Lage in der Region durch den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober eskaliert ist. Die Milizionäre, die erhebliche Teile Nord- und Westjemens kontrollieren, verkaufen es als Solidaritätsaktion gegenüber den Palästinensern. Der Wahlspruch der Schiiten-Gruppe lautet: „Gott ist der Größte. Tod Amerika. Tod Israel. Fluch den Juden. Sieg dem Islam.“
Ernsthafte Auswirkungen auf die globale Wirtschaft
Bis heute sind die „Galaxy Leader“ und deren 25köpfige Crew, die mehrheitlich von den Philippinen sowie aus Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und Mexiko stammt, in der Hand der Islamisten. Das Schiff haben sie zu einer Touristenattraktion umfunktioniert. Ihre Angriffe auf die internationale Schiffahrt im Roten Meer summieren sich seitdem nach Zählung der USA auf 25. Dabei greifen die Milizionäre auch auf Lenkwaffen und Drohnen zurück. Bereits zuvor und auch danach feuerten die Islamisten zudem Geschosse in Richtung Israel, das zur Abwehr erstmals auf sein stratosphärisches Abwehrsystem „Arrow 3“ zurückgriff.
Die Huthi-Bedrohung im Roten Meer unterstreicht die internationale Dimension der regionalen Spannungen: Über das Gewässer laufen nach allgemeiner Schätzung rund zwölf Prozent des gesamten internationalen Handels. Eine Eskalation der Huthi-Angriffe hat daher das Potential, ernsthafte Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und die Verbraucherpreise zu haben: Versicherungskosten steigen an, und führende Schiffahrtsunternehmen, darunter die Hamburger Hapag-Lloyd AG, haben sich entschieden, den Sueskanal vorerst zu meiden. Sie müssen nun den viel längeren und einen Monat Zeit raubenden und damit teureren Umweg um das Kap der Guten Hoffnung nehmen.
Offiziell richten sich die Huthis zwar gegen Schiffe mit Bezügen zu Israel. Was genau aus ihrer Sicht einen Angriff rechtfertigt, ist aber schwammig. Im Falle der Bahamas-beflaggten „Galaxy Leader“ waren es wohl geschäftliche Verbindungen zu dem 77jährigen israelischen Milliardär und Schiffsinvestor Abraham Ungar. Wie Brad Cooper, Kommandeur der US-Marine in der Region, Anfang Januar erklärte, gehen die USA davon aus, daß mittlerweile 55 Nationen betroffen sind, etwa weil angegriffene Schiffe ihre Flagge führten oder Bürger der entsprechenden Länder an Bord waren. Bereits Mitte Dezember rief Washington daher die Operation „Prosperity Guardian“ (OPG/„Beschützer des Wohlstands“) aus, die die Sicherheit der Schiffahrt im Roten Meer gewährleisten soll. Nach US-Angaben haben sich mehr als 20 Nationen angeschlossen, die in unterschiedlicher Weise zu dem Vorhaben beitragen wollen. Neben den USA hat etwa auch Frankreich bereits angreifende Drohnen abgefangen. Deutschland hat seine Mitarbeit zugesagt, befindet sich aber noch in der internen und europäischen Abstimmung konkreter Maßnahmen.
Laut USA haben seit Beginn der Operation rund 1.500 Schiffe das Rote Meer passiert. Kurz vor Jahresende kam es zu einer Eskalation, als ein US-Flugzeugträger und Hubschrauber einem angegriffenen Schiff zur Hilfe eilten und sich daraufhin ein Feuergefecht mit Huthi-Kämpfern entwickelte. Die USA versenkten drei Huthi-Boote und töteten mehrere Milizionäre. In Washington wird längst diskutiert, ob das Militär offensiv agieren, also Ziele der Huthis im Jemen bombardieren sollte.
Zu solchen direkten Angriffen der USA ist es seit dem 7. Oktober bereits in Syrien und dem Irak gekommen. Dort haben vom Iran unterstützte Gruppierungen amerikanische Truppen ins Visier genommen und verletzte US-Soldaten hinterlassen. Auch die Huthis sehen sich als Teil dieser vom Iran angeführten „Achse des Widerstands“, die derzeit vielerorts am Rande einer erheblichen regionalen Eskalation operiert. Dabei geht die größte Gefahr von der israelisch-libanesischen Front aus. Nachdem Israel zu Jahresbeginn bei Beirut einen Hamas-Anführer eliminiert hatte, gelang es der vom Iran hochgerüsteten Hisbollah-Terrormiliz, israelische Radaranlagen zu treffen. Sollte sich die Hisbollah nicht bald friedlich von der Grenze zurückziehen, dürfte aus den anhaltenden Grenzscharmützeln ein vollständiger Krieg werden.
Die Meinungen dazu, ob jemand, wer und warum diesen Krieg anstrebt, gehen auseinander. Genauso wie die Ansichten zu der Frage, in welchem Ausmaß Irans Stellvertreter autonom agieren oder nur auf Teherans Anweisungen hören. Im Iran selbst erregte Anfang des Jahres der tödliche Terroranschlag bei einer Gedenkfeier für den iranischen General Kassem Soleimani Aufsehen. Einige iranische Stimmen machten Israel und die USA dafür verantwortlich. Zu der Attacke bekannt hat sich jedoch der Islamische Staat.
Operation „Prosperity Guardian“