Ihre Gesichter sind vom Wetter gegerbt, die sibirisch anmutenden Temperaturen morgens in Berlin tun das übrige: Rote Wangen, blasse Lippen, die Nasenfalten scheinen sich noch tiefer in die Haut zu graben als die Pudelmütze in die Stirn. Dick eingemummelt stehen Bauern, Lastwagenfahrer, Männer wie Frauen um Lagerfeuer herum und halten ihre Hände kurz über die Flammen. Es gibt Brötchen und heißen Kaffee. In den Führerhäusern der LKWs knuddeln sich die Schlafsäcke auf den Beifahrersitzen. Stunden sind diese Menschen nach Berlin gefahren. Hier, vor dem Wahrzeichen der Stadt, dem Brandenburger Tor, fordern sie die Wende in der Landwirtschaftspolitik.
Die Demonstranten riskieren viel: nämlich ihre Existenz und ihren Ruf. Hoffen sie auf das Einsehen der Regierung, hoffen sie umsonst. Noch während der Proteste beschließt das Kabinett um Bundeskanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner ein zwar inzwischen reduziertes, aber doch umstrittenes Sparpaket.
„Diese Bundesregierung ist nicht in der Lage zu regieren“, sagt Henning Koopmann (39) der JUNGEN FREIHEIT. Der Landwirt aus dem Kreis Aurich in Ostfriesland ist mit seinem Auto nachts fünf Stunden über die Autobahn gefahren, um dabei zu sein. Zu demonstrieren gegen die Sparpläne der Regierung. Jetzt steht er vor dem Brandenburger Tor. „Für uns alle ist das eine unhaltbare Situation, deshalb bin ich hier. Diese Planungen bedeuten für uns, daß ein gesamtes Monatsgehalt entfällt.“
Rückblick: Das Bundesverfassungsgericht kassierte am 15. November 2023 den Nachtragshaushalt der Bundesregierung für 2021: verfassungswidrig. Die Bundesregierung hatte nicht genutzte Corona-Kredite einsetzen wollen. In allen Ressorts wurde der Rotstift angesetzt, weitere Schulden verbietet die Schuldenbremse.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdimir bot an, die Subventionen für Agrardiesel und die Kfz-Steuer-Vergünstigung für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu streichen. Eine Milliarde erhoffte sich die Ampel so. Proteste begannen im ganzen Land mit einem ersten Höhepunkt am 18. Dezember 2023. Im neuen Jahr hatte der Deutsche Bauernverband ab dem 8. Januar eine Aktionswoche anberaumt. Den Protesten schließen sich Spediteure, Handwerker, Krankenpfleger und zum 10. Januar auch die Bahngewerkschaft GDL an.
„Klar, Bauern unterstützen! Aber die Dieselkosten gehen uns alle an“
Auf der Straße des 17. Juni sitzt Alexander Jonas (52) seit 1 Uhr morgens in seinem Scania-Laster vor dem Brandenburger Tor, gemeinsam mit laut Polizei 680 Traktoren und Lastern zwischen etwa 1.300 anderen Demonstranten. Er kommt aus Spandau. Seine Firma bietet Straßenreinigung und Winterdienste an. „Klar, wir unterstützen die Bauern, aber die Erhöhung der Maut und der Dieselkosten geht uns doch alle an. Je mehr Maut für das Fahrzeug gezahlt werden muß, desto weniger Fahrzeuge können rausfahren. Denn diese Preise kann sich dann keiner mehr leisten,“ sagt er der JF.
Allein in Brandenburg sind für den ersten Demonstrationstag 134 Versammlungen angekündigt. In Konvois fahren Bauern, Handwerker, Selbständige und Spediteure durchs Land. Einer von ihnen ist Olaf Wissler (54). Der KFZ-Meister aus Trebbin in Brandenburg arbeitet seit über 30 Jahren in der Altbausanierung. „Wir trafen uns in Thyrow. Ein Teil von uns fuhr nach Berlin, der andere nach Ludwigsfelde. In dem zweiten Konvoi war ich dabei. Der war 2,5 Kilometer lang und bestand anteilig aus mehr Handwerkern und Spediteuren als Traktoren.“
Er erklärt uns, warum er sich engagiert: „Wir Handwerker werden die Ergebnisse dieser Politik später merken als die Bauern und gehen dann halt später vor die Hunde.“ Wissler gibt uns ein Beispiel: „Aktuell sollte ich einen Auftrag für eine Kundin übernehmen, eine Wohnung sanieren. Doch die Dame hatte eben nicht mehr 4.000 Euro über. Die Menschen haben immer weniger Geld, können es nicht mehr zahlen.“ Das sei einfach genug. Es gehe gar nicht mehr nur um die Subventionsstreichungen. Es ist viel grundlegender: „Die Leute wollen diese Regierung nicht mehr.“
Von dem Begriff Subventionen will der Landwirt Koopmann aus Ostfriesland nichts mehr hören: „Ich weise mal darauf hin, daß es sich eben nicht um Subventionen handelt, die wegfallen, sondern um Steuererhöhungen für eine einzelne Berufsgruppe. Dabei ist die Landwirtschaft die einzige Berufsgruppe, die die CO2-Ziele einhält. Denn die Landwirtschaft bindet mit jeder Pflanze, die sie setzt, Kohlenstoff.“
Und während die Bauern und Brummifahrer draußen auf den Straßen in ganz Deutschland frieren, setzt die Ampelregierung ihr neues Sparpaket durch: schrittweise Abschaffung der Subventionierung des Agrardiesels. „Dies stellt insbesondere einen Beitrag zum Abbau klimaschädlicher Subventionen dar“, heißt es im Kabinettsentwurf. Ab 2026 soll die Rückvergütung, die es schon seit 1951 gibt, gestrichen sein. Die geplante Streichung der Kfz-Steuerbefreiung fällt weg.
Worin Politik und Medien nicht einknicken, ist allerdings die Behauptung der rechten Unterwanderung der Proteste. „Bullshit“, nennt das Koopmann. Zwei augenscheinlich Rechtsradikale habe man gleich des Platzes verwiesen. „Bei uns beißen die auf Granit.“ Auch Wissler kann in Brandenburg darüber nur den Kopf schütteln: „Wenn man die Regierung kritisiert, ist man heutzutage doch gleich rechtsextrem, aber die Nazikeule zieht nicht mehr.“
Schaulustige und Journalisten fotografieren die Demo-Fahrer
Allerdings bleibt das Argument nicht wirkungslos. Denn auch innerhalb der verschiedenen Bauernorganisationen ist man sich nicht grün. So durften auf der Demo am 18. Dezember die Freien Bauern aus Brandenburg nicht sprechen, sagt deren Politischer Referent Reinhard Jung am 8. Januar in Berlin: „Warum redet der Bauernverband immer nur über den Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat und nicht über den restlichen Inhalt des Fasses?“, fragt Jung, dessen Verband sich für die bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland stark macht. „Gerade jetzt, wo wir soviel Bewegung haben, soviel Geschlossenheit?“
Auch in Köln kommt es zu massiven Protesten. Bis zu 700 Fahrzeuge haben sich am Eifeltor eingefunden, nachdem sie am frühen Morgen bereits mehrere Autobahnen rund um die Domstadt blockiert hatten. Von hier aus setzt sich der Megatreck Richtung Zentrum in Bewegung. Einige der angekündigten Aktionen klingen nach mächtig Ärger. Mehrere große Medienhäuser wollen die Fahrer blockieren. Die RTL-Zentrale, Sat.1, den WDR ebenso wie den Dumont-Verlag. Letztlich bleibt es bei massiven Hup-Protesten auf der Fahrt um das Sendergelände.
Unzählige Traktoren fahren durch die Innenstadt. Auch LKWs, Kleintransporter und PKWs haben sich in den Demonstrationszug eingereiht. Und während die lange Kolonne lärmend den Neumarkt erreicht, kommen immer weitere Nachzügler vom Eifeltor. Nahezu jedes zweite davon mit Transparent versehen: „Wir arbeiten jeden Tag mit der Natur – und ihr?“, fragt eines in Richtung Ampel-Regierung. „Sie säen nicht und sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser“, lautet eine weitere Spitze.
Die Stimmung bei den Demo-Fahrern ist gut. Immer wieder bleiben sie stehen, lassen sich geduldig von Schaulustigen und Journalisten fotografieren. Nur als wir einige von ihnen nach Ampel und Agrardiesel befragen, verfinstern sich die Mienen, wird ihnen der Ernst ihrer Lage urplötzlich wieder bewußt. „Ich bin so sauer. Da ist so viel, was bei dieser Regierung schiefläuft. Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll“, sagt einer. Die Aufforderung, es einfach mal zu versuchen, nimmt er nicht an. „Das laß ich mal lieber. Ich bin so wütend, sonst explodiere ich hier.“
Auf dem Neumarkt recken viele den Daumen, einige rufen „Weiter so!“ An einigen Traktoren hängen Deutschland-Fahnen, am Straßenrand haben sich Sympathisanten mit den Nationalfarben eingefunden. Jeder Fahrer erhält von den mehreren hundert am Straßenrand Stehenden seine ganz persönliche Beifallsbekundung.
Einer der Demo-Sympathisanten hält ein Pappschild in die Höhe. „Gute Proteste: Klima-Kleber, Castor-Transporte. Böse Proteste: Bauern, Corona, Heizungsgesetz“ steht darauf und verdeutlicht, daß offenbar nicht nur Landwirte sich an diesem Montag der Traktordemo anschließen. „Ich finde es großartig, daß so viele gekommen sind“, zeigt sich der Mann mit dem Pappschild begeistert. Das Plakat sei ein „spontaner Einfall“ gewesen. Gemeinsam „mit Freunden“ habe er sich zu der Demo verabredet. Laut Polizeiangaben sei der Kölner Demozug ohne Zwischenfälle verlaufen. Die bundesweite Aktionswoche soll am Montag in Berlin enden.
Medien behaupten Erstürmung der Fähre Habecks
In Schlüttsiel, Schleswig-Holstein, wollte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 4. Januar von einer Fähre steigen. Am gleichen Tag hatte die Bundesregierung ein abgespecktes Sparpakt beschlossen. In Erwartung des Vizekanzlers hatte sich eine Gruppe von laut Polizei etwa 250 Landwirten und Anwohnern am Anleger versammelt. Die Fähre kehrte letztlich mit dem Minister wieder um. In der Folge entstand ein Kampf um die Deutungshoheit der Szenen. Die „Tageschau“ etwa zeigt Auschnitte der Videos, in denen eine Gruppe die Polizeiabsperrung durchbricht und versucht, auf die abfahrende Fähre zu gelangen. Dazu sagt der Sprecher „Habeck mußte daraufhin wieder auf die Hallig Hooge zurückkehren.“ Hier wird der Anschein erweckt, als sei die Bewegung der Gruppe der Abfahrt der Fähre vorausgegangen. Der Spiegel titelt gar „Attacke auf Robert Habeck“, und der Focus schreibt von einem „Sturm auf Habeck-Fähre“. Auf anderen Videos ist zu erkennen, daß die Protestler erst versuchten die Polizeikette zu durchbrechen, nachdem das Schiff abgelegt hatte. Die Beamten hatten zuvor mit den Landwirten verhandelt. Unter den Protestierenden waren auch Familien mit Kindern. Ein Vater, Jan Küntzler (36), sagte der Welt, er habe die Polizei gebeten, daß er und sein Sohn plus zwei weiteren Demonstranten auf die Fähre könnten. „Wir wollten auf die Fähre gehen, weil wir wollten, daß Habeck auch meinen Sohn, diesen kleinen Menschen, sieht,“ erklärt Küntzler. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Küntzler sagt: „Die Lage vor Ort war bis zum Ablegen der Fähre ruhig und entspannt.“ (mp)