© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

Zapfenstreich der Woche
Hängt weiter
Christian Vollradt

Der Umgang der Bundeswehr „mit Traditionen und Brauchtum ist verdruckst“, kritisierte jüngst der Militärhistoriker Sönke Neitzel. Man könnte ergänzen: Und dort, wo Rituale und Brauchtum sich noch ungebrochen erhalten haben, macht ihnen der ärgste, der unerbittlichste Feind der Truppe den Garaus, die eigene Bürokratie. Deren jüngstes Opfer ist immer häufiger die traditionelle „Flaggenparade“ bei der Marine in Kiel, also das tägliche Setzen und Niederholen der Dienstflagge der Seestreitkräfte. „Kriegsschiffe, die landfest oder verankert sind“, haben laut Vorschrift ihre Dienstflagge von April-September um 7 Uhr, von Oktober bis März um 8 Uhr morgens zu hissen und bei Sonnenuntergang, spätestens aber bis 20 Uhr abends einzuholen. Ein uraltes seemännisches Ritual. Daß dies nun, wie die Kieler Nachrichten schreiben, vermehrt ausfalle und die Flaggen auf den Schiffen oder Booten  über Nacht am Mast bleiben, hänge mit der Einführung der neuen Soldatenarbeitszeitverordnung zusammen. Ihretwegen müssen die Blauen Jungs ihre Schiffe nach der regulären Dienstzeit verlassen. Und wenn bei Sonnenuntergang keine oder zu wenige Besatzungsmitglieder an Bord seien, könne die Flaggenparade nicht protokollgemäß stattfinden. „Wenn die Schiffe unbesetzt sind, gibt es keine Flaggenparade“, zitiert das Blatt einen Sprecher der Marine. Weil der Standortälteste des Kieler Stützpunkts die Regelungen entsprechend geändert hat und für Einheiten, die nicht ständig besetzt sind, das Hissen oder Senken der Flaggen zu den vorgeschriebenen Zeiten entfällt, weht mittlerweile die Dienstflagge sogar dann über Nacht, wenn Soldaten an Bord sind. Ein Graus für traditionsbewußte Angehörige der kleinsten, aber feinen Teilstreitkraft. Denn bei Dunkelheit führen Kriegsschiffe die Dienstflagge eigentlich nur, wenn sie in Fahrt sind.