© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

Bitte umkehren
Zoff in der Koalition: Ob Schuldenbremse, Bürgergeld oder Haushalt – die Ampel streitet im neuen Jahr munter weiter
Jörg Kürschner

Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Ampel-Koalitionäre zeigen sich ungewohnt einig in der Diskussion über den Haushalt 2024. Trotz der erbitterten Proteste der Bauern hat die Regierung die umstrittenen Subventionskürzungen im beschleunigten Umlaufverfahren beschlossen. Der Regierungschef ist unter Druck geraten, denn SPD-Ministerpräsidenten kratzen an seiner Autorität. Das Jahr 2024 hat für Scholz ungemütlich begonnen. „Wer Führung bei mir bestellt, bekommt sie“, hatte der Wahlkämpfer Scholz den Bürgern versichert. Doch war davon in der ersten Hälfte seiner Amtszeit wenig zu spüren. Entweder schwieg er, oder er gefiel sich in der Rolle des spöttisch grinsenden Sprechblasen-Facharbeiters. Damit soll jetzt offenbar Schluß sein, denn dem Kanzler steht das Wasser bis zum Hals.

Es ist nicht nur die repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa, der zufolge sich fast zwei Drittel der Deutschen für seine Ablösung durch Verteidigungsminister Boris Pistorius aussprechen. Der hält einstweilen die Füße still. Andere führende Sozialdemokraten sind da unruhiger. Pistorius’ früherer Kabinettschef Stephan Weil: „Die Bundesregierung soll reinen Tisch machen und den Konflikt beenden“. Dessen brandenburgischer Kollege Dietmar Woidke, dem im September schwierige Landtagswahlen ins Haus stehen, wurde deutlicher: „Ich kann der Regierung nur raten, die Kürzungen komplett zurückzunehmen“. Ähnlich äußerten sich Scholz’ „Parteifreundinnen“ in den Schweriner und Saarbrücker Staatskanzleien Manuela Schwesig und Anke Rehlinger.

Doch Scholz will hart bleiben. „Die Bundesregierung steht dazu“. Bei einem Subventionsabbau gebe es immer Stimmen, die sagen, „aber nicht diese“. Rückhalt erhielt er von Finanzminister Christian Lindner und seinem Vizekanzler Robert Habeck. Der Grüne, den kürzlich wütende Bauern in Norddeutschland am Verlassen einer Fähre gehindert hatten, warnte vor „Umsturzphantasien“. Auf dem FDP-Dreikönigstreffen hatte Lindner an die Landwirte appelliert. „Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um.“ 

Nach der Kabinettsvorlage soll die seit 1951 gewährte Steuervergünstigung beim Agrardiesel nun schrittweise abgeschafft werden, nachdem zunächst eine komplette Streichung geplant war. 2026 wäre dann Schluß mit den Rückvergütungen. Bei der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte soll es bleiben, der bürokratische Aufwand wäre zu groß. Der Deutsche Bauernverband lehnt diesen Kompromiß ab.

Zum Ärger der SPD-Fraktion will Arbeitsminister Hubertus Heil Jobverweigerern das Bürgergeld (früher Hartz IV) streichen, wenn sie Arbeit ablehnen. Es gebe „eine sehr kleine Gruppe von Menschen, die Totalverweigerer sind“ und „wiederholt zumutbare Arbeit ohne Grund ausschlagen“, klagte der Muster-Sozialdemokrat. Die Streichung bis zu maximal zwei Monate solle die Debatte versachlichen. Damit reagiert der Ressortchef auf die Kritik von CDU/CSU und AfD sowie auf ein Gutachten seines Hauses, das Bürgergeld sei ungerecht und motiviere Menschen, sich auszuruhen und nicht zu arbeiten. Das Bürgergeld sei kein „bedingungsloses Grundeinkommen“, stellte Heil jetzt klar. Die SPD-Abgeordnete Annika Klose kommentierte, die Pläne seien keine „SPD-Position“. 

Die Liberalen stehen mit dem Rücken zur Wand

Und schließlich soll die Ticketsteuer auf Flugreisen ab Mai je nach Reiseziel um fast ein Fünftel auf 15,53 bis 70,83 Euro steigen.  „Insbesondere im Bereich der so genannten Billigflüge kann die Steuer so einen erheblichen Anteil des Gesamtflugpreises ausmachen“, heißt es in der Vorlage, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Die Kerosinsteuer ist vom Tisch. Die Koalition will mit ihrer Kabinettsvorlage – Folge des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts – wieder in die politische Offensive kommen. Wenn man vor den Bauern einknicke, würden bald andere Berufsgruppen auf die Straße gehen, etwa das Gaststättengewerbe wegen des seit Jahresbeginn wieder gültigen Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent, wird in der SPD-Fraktion gewarnt. 

Ende des Monats soll der Haushalt 2024 verabschiedet werden und die Dauerdiskussion über die Staatsfinanzen aufhören. Zumindest vorerst. Denn im Hintergrund wabert der Streit über ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse aufgrund der Hochwasserschäden. Hier positionieren sich SPD und Grüne gegen die FDP, deren Vorsitzender Christian Lindner auf dem traditionellen Dreikönigstreffen die Regelung mit Hinweis auf seinen Amtseid verteidigte. 

Nach dem hauchdünnen Vorsprung der Ampel-Befürworter von 52 Prozent beim parteiinternen Mitgliederentscheid will sich die FDP in der Ampel als Bewahrerin der sozialen Marktwirtschaft profilieren. Daß damit erneuter Koalitionsstreit programmiert ist, wird eingepreist. Denn die Liberalen stehen mit dem Rücken zur Wand. So fiel bei dem Treffen in Stuttgart auf, daß die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland kaum der Rede wert waren. Kein Wunder, die Umfrageergebnisse sind kontinuierlich katastrophal. Eine gewisse Chance gibt es wohl in Thüringen mit Spitzenkandidat Thomas Kemmerich. Er war in Stuttgart allerdings persona non grata, hatte er sich doch vor knapp vier Jahren mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten des Freistaats wählen lassen. Für gerade mal einen Monat, dann wurde er zum Rücktritt gezwungen.