© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

Feigheit vor dem Feind
Wie umgehen mit der AfD?: Es gewinnt die Partei Wähler, die deren Interessen nicht zuwiderhandelt
Werner J. Patzelt

Deutschlands Umgang mit der AfD ist ein Beispiel politischer Torheit. Klügere erkennen, daß dabei auch Anhänger unserer pluralistischen Demokratie wichtige von deren tragenden Grundsätzen verraten und unserer politischen Kultur geschadet haben. Weniger Kluge könnten immerhin erkennen, daß der bisherige „Kampf gegen die AfD“ diese nicht geschwächt, sondern ganz im Gegenteil gestärkt hat. Immer wieder etwas zu tun, was einem zwar gefällt, doch das angestrebte Ziel in immer weitere Ferne rückt, ist aber nicht in erster Linie grundsatztreu, sondern kindisch. Deshalb findet sich bei der Kritik am deutschen Umgang mit der AfD ein gemeinsamer Nenner zwischen denen, welche diese Partei mögen, und jenen, die sie nicht mögen.

So hat es auch zu sein, wenn es einem nicht vorrangig um die parteipolitische Auseinandersetzung geht, sondern um die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung, in welcher öffentlicher Streit um den richtigen politischen Weg eine Selbstverständlichkeit ist, und in der die Entscheidung, welcher Weg dann wirklich eingeschlagen werden soll, – ohne Hintergedanken – der Bürgerschaft überlassen wird. Tatsächlich begann die Geschichte freiheitlichen Regierens damit, daß man zwischen politischen Gegnern und Verfassungsfeinden unterschied und genau dadurch jenen Spielraum schuf, in dem sich seither Opposition entfalten kann.

Eben diese Unterscheidung zwischen Verfassungsfeinden, im deutschen Verfassungsrecht „Extremisten“ genannt, und bloßen politischen Gegnern versuchen sehr viele beim Umgang mit der AfD seit vielen Jahren einzuebnen. Schon der AfD des Parteigründers Bernd Lucke kam man mit der Schandkappe des Rechtsextremismus; und der jetzigen AfD, die im Süden Ostdeutschlands wohl zur stärksten Partei wird, droht man längst mit einem Parteiverbotsverfahren. 

Die Legitimität ihrer politischen Wirksamkeit in Parlamenten wurde selbst dort bestritten, wo sie zur stärksten Oppositionspartei gewählt worden war. Von Attacken auf deren Wahlkampfstände und sozialen Bestrafungsaktionen gegen Leute, die sich nicht an AfD-bezogene Distanzierungsgebote gehalten haben, sei ganz geschwiegen. Dabei gehört zu den Mindestanforderungen unserer Grundordnung, wie sie das Bundesverfassungsgericht schon vor siebzig Jahren festgelegt hat, das Recht auf die Bildung und Ausübung (!) von Opposition.

Natürlich muß Opposition in der Sache ebensowenig recht haben wie die jeweilige Regierung. Schon gar nicht hängt ihr Existenzrecht davon ab, daß ihre Inhalte und ihr Stil anderen gefallen. Ihr Mehrwert für eine lernwillige politische Ordnung liegt schlicht darin, daß sie etablierte Positionen nicht einfach hinnimmt, sondern hinterfragt, und daß sie Sach-, Programm- und Personalalternativen anbietet. Am Wahltag wird dann von Bürgerinnen und Bürgern frei entschieden, wer Prokura für die Umsetzung seiner politischen Ziele erhält. Gewiß ist das schmerzlich für jene, die abgewählt werden oder – schon im Vorfeld von Niederlagen – Einbußen an Popularität und politischer Zustimmung erleben. 

Doch nichts zwingt Parteien, denen neue Konkurrenz erwächst, zum tatenlosen Geschehenlassen ihres Ansehens- und Machtverfalls. Sie haben jedes Recht und in einer freiheitlichen Medienlandschaft auch umfassende Möglichkeiten, jene politisch zu stellen, die sich als Alternative zu ihnen geben. Doch dann darf man eben nicht nur untereinander über unliebsame Gegner reden, sondern muß persönlich mit ihnen streiten – und zwar vor einem möglichst großen Publikum. Das nämlich gibt am Wahltag den Ausschlag dafür, wer den Einzug ins Parlament verfehlt, wer regieren darf, und wer die Rolle der Opposition zu übernehmen hat. 

Wenn man bei solchen Streitgesprächen eine gute Figur machen will, dann sollte man aber die politisch zu gestaltenden Tatsachen und Zusammenhänge besser kennen als der Gegner, und man sollte auch die besseren Argumente haben und sie noch besser als der Rivale vortragen. Solche Debatten zu scheuen, wie es von Anfang an die Praxis von AfD-Gegnern war, ist in der Politik das Seitenstück zu dem, was im Kriege heißt: „Feigheit vor dem Feind“. Auch die Folgen sind keine anderen: Der Gegner gewinnt.

Wie sinnvoll wäre es, in einer Kriegslage eine Institution wie die Uno mit der Forderung anzurufen, sie möge dem Kriegsgegner – da anscheinend auf dem Schlachtfeld nicht bezwingbar – doch bitte sein Tun verbieten? Allein schon mit dem ernsthaften Rat zu solcher Initiative machte man sich lächerlich. Doch in Deutschland galt es jahrelang wie der politischen Weisheit letzter Schluß, über ein mögliches Verbot der AfD öffentlich zu sinnieren oder es zu fordern. Gottlob warnen nun sogar führende Sozialdemokraten und Grüne vor so selbstschädigender Unvernunft. Doch das heilt den Fehler nicht, zuvor der konkreten Auseinandersetzung mit AfD-Positionen und dem persönlichen Debattieren mit AfD-Politikern ausgewichen zu sein. Stattdessen versuchte man es mit Zaubersprüchen und einer Art Verfluchung der AfD anhand der Formel vom Rechtsextremismus.  Doch was brachte dieser Bannfluch? AfD-Politiker zum Verstummen, AfD-Mitglieder zum Parteiaustritt, AfD-Wähler um die Traute zu ihrem Wahlkreuz? Soweit diese Art politischer Schwarzmagie nicht von selbstgefälliger Verleumdung zeugte, sondern womöglich unserem Gemeinwesen dienen sollte, erwies sich „gut gemeint“ einmal mehr als „schlecht getan“.

Im übrigen gewinnt Wähler, wer Politik vermeidet, die deren Interessen zuwiderläuft, und wer Politik so erklärt, daß gutwillige Zuhörer den Sinn sogar von solchem Tun oder Lassen begreifen, das zunächst nicht verstanden wurde. Wenn also eine Protestpartei entsteht und etablierte Parteien gar überflügelt, dann kann das ein Zeichen dafür sein, daß man – als deren Gegner – mit der eigenen Politik eben falschliegt und deshalb nicht mehr dazu fähig ist, sie unterstützungsgewinnend zu erklären. 

Eine vernünftige Partei würde in dieser Lage sorgsam erwägen, worin ihre Konkurrenz vielleicht doch recht haben könnte, würde ihre eigenen Positionen entsprechend korrigieren, dadurch politisches Lernen praktizieren und auf diese Weise nachweisen, daß unsere pluralistische Demokratie nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis funktioniert. Doch so haben sich Deutschlands etablierte Parteien gerade nicht verhalten, sondern derlei als ein „Zurückweichen vor Rechtspopulisten“ ausgegeben. Wie staatsschädigend dumm!






Werner J. Patzelt ist emeritierter Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft an der TU Dresden.