© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/24 / 05. Januar 2024

Der Flaneur
In der Behörde
Gil Barkei

An dem Gebäude der Berliner Senatsverwaltung gegenüber weht neben der deutschen die israelische Fahne. Während hier vorm Bürgeramt im regenbogen- und ukrainebeflaggten Rathaus die orientalischen Security-Leute mit ihren neongelben Westen und Vollbärten aussehen wie eine skurrile Melange aus Streikenden und Islamisten – die Salafisten-Gewerkschaft? 

Der babylonische Wartebereich ist brechend voll. Auch ich habe im Bundeshaupt­slum nur einen zeitnahen Termin bekommen, weil ich regelmäßig online nach durch Absagen frisch aufploppenden Zeitslots Ausschau gehalten habe. Natürlich in einem völlig anderen Bezirk als meinem, aber diesen Anspruch habe ich angesichts der Rückentwicklung zu einem Zweite-Welt-Land längst ad acta gelegt.

In einem Regal stapeln sich in Pappkartons alle möglichen Anträge. Zu dem chaotischen Gebimmel der aufgerufenen und auf einem Bildschirm angezeigten Termin-Nummern versuchen die Sicherheitsleute Ordnung in den Raum zu bekommen: mit Termin hinsetzen und warten, ohne Termin zur Abholung anstellen und warten. Kurz überlege ich, ob eine kleine „Hauptmann von Köpenick“-Aktion Tempo bringen könnte, aber in Uniform rumkrakelend würde ich wahrscheinlich schnell vermöbelt oder als Reichsbürger verhaftet werden. Ohne Uniform rumkrakelen wäre dagegen normal, zumindest in der Hauptstadt-U-Bahn.

Zum Glück kann eine Mitarbeiterin der Ukrainerin helfen und sie schnell vorziehen.

An einem der Schlangeschalter plötzlicher Aufruhr: Eine Ukrainerin spricht kein Deutsch. Zum Glück kann eine anscheinend kürzlich eingestellte Behördenmitarbeiterin kurzerhand übersetzen und sie mal eben an allen Terminkunden vorbei an ihren Tisch vorziehen – white privilege auf ukrainisch. 

Ich bin endlich an der Reihe und muß – kannte ich noch gar nicht – kurz quittieren, daß ich ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitze. Ist das jetzt noch die Regel oder schon etwas Besonderes? Oder will man sich gegen Schindluder absichern? Die Beamtin vis-à-vis spult routiniert-resigniert, aber freundlich ihr Programm ab. Zur Abholung bekomme ich einen QR-Code zum Erfragen des Bearbeitungsstatus. Also auf ein Neues: wieder regelmäßig das Internetangebot checken und hinein in den Amtstrubel. Nur einen Termin brauche ich dann nicht – also anstellen.