Im Verlauf der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen fanden sich zahlreiche Kritiker von einem politmedialen Komplex als rechtsextreme Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt. Dies traf auch die reformistisch eingestellte Esoterik. Doch Verschwörungstheorien entstehen zwangsläufig, wenn Politik Erkenntnisse der Wissenschaft zu quasi-religiösen Dogmen erhebt, so Bettina Gruber in ihrer Studie „Phantastische Räume. Das Politische Imaginäre in Zeiten des Mißtrauens“.
Das Politische Imaginäre definiert Gruber als Vorstellungswelten, mit denen Menschen aktuelle Verhältnisse zu deuten versuchen. In ihrem Anspruch auf Ganzheitlichkeit von Körper und Geist, Wissen und Glauben beinhalte auch die Esoterik ein kulturkritisches Potential gegenüber einer positivistischen (Natur-)Wissenschaft sowie moderner Macht- und Wissensverhältnisse.
Die Mechanismen zwischen staatlicher Propaganda und Verschwörungstheorien macht Gruber daher naheliegenderweise an der weltweit ausgerufenen Corona-Pandemie deutlich. Diese war real nicht erlebbar, sondern wurde lediglich durch mediale Vermittlung in Form von fälschungsanfälligen Bildern und litaneiartig wiederholten Inzidenzwerten wahrnehmbar. Durch sie wurde die „obrigkeitliche Kommunikation zum absichtsvollen Verwirrspiel“; mithin zu einer Staatspropaganda, die als neuer Szientismus dazu aufrief, der Wissenschaft zu folgen: Vorläufige Forschungsergebnisse wurden quasi zur Staatsreligion erhoben. Folglich mußten sich kritische Gegenstimmen erheben – um so mehr, als die massiven Impf-„Empfehlungen“ als Angriff auf Selbstbestimmungsrecht und Körper des Individuums gewertet wurden und die neuartige Gentechnik Furcht vor einem aufgezwungenen Transhumanismus schürten: Neben rationaler, faktenbasierter Kritik bildeten sich in der Folge auch esoterische bis hin zu surrealen Gegenerzählungen aus. Deren Einordnung als rechtsextreme Verschwörungstheorien verweise, so Gruber, auf die postdemokratische Selbstermächtigung einer „hybriden Herrschaftsinstanz“ aus linksliberaler Ideologie und den Interessen transnationaler Konzerne.
Verschwörungstheorien lassen alternative Erzählungen entstehen, wobei sie auf das kollektive Imaginäre, also bekannte literarische oder religiöse Metaphern und Symbole, zurückgreifen. Der biblische Turmbau zu Babel findet so seine Analogie in der Hybris einer One-World-Ideologie, doch vor allem die Vorstellung eines von geheimen Bauten durchzogenen Untergrunds ist seit jeher Tummelplatz für Dunkelmänner und Zentrum einer imaginierten Satanisten-Szene, inklusive Sklavenhaltung und pädophiler Exzesse. Der linkslibertäre Ansatz einer „befreiten Sexualität“ bereits im Kindesalter rückt daher auch die linksgrüne Funktionselite ins Reich des pädophilen Bösen – eine Position, die in feudalistischen Zeiten dem verhaßten Adel vorbehalten war.
Im Gegenzug ordnet die linksgrüne Elite die ebenfalls eher linken, zumindest aber reformistischen Esoteriker und Anthroposophen aufgrund ihrer Kritik an der Corona-Impfung – für sie eine Störung des spirituellen „energetischen Körpers“ und „neuer Sündenfall“ – „rechtsextremen Schwurblern“ zu, um so deren Protest als Irrationalismus zu brandmarken. Mit eingeschlossen in das Narrativ des Rechtsextremismus wird zugleich auch die Homöopathie, der demokratische Widerstand sowie Teile der „Bio-Boheme“.
Bettina Grubers Studie gibt Einblicke in zahlreiche aktuelle Phantasmagorien (vulgo: Verschwörungstheorien), die nicht selten zur Erheiterung beitragen. Leider macht die Autorin es dem Leser nicht immer leicht, ihrer Argumentation zu folgen; insbesondere fehlt den Ausführungen ein klares Fazit. Deutlich aber wird: Das phantastische Fabulieren beschränkt sich auf keine politische Seite. Es ist vielmehr die Reaktion auf eine Welt, deren wissenschaftliche Erkenntnisse so komplex sind, daß sie zur Glaubensfrage werden müssen.
Bettina Gruber: Phantastische Räume. Das Politische Imaginäre in Zeiten des Mißtrauens, Klappenbroschur, 156 Seiten, 19 Euro