Sogenannte „True Crime“-Formate erfreuen sich in den Medien und beim Publikum großer Beliebtheit. Entziehen kann sich der berühmten „Faszination des Bösen“ kaum jemand. Zu verführerisch ist der Einblick in eine Welt, in die sich der Normalbürger sonst nicht einmal hineindenken kann – und von der eigentlich jeder hofft, daß er im realen Leben nie mit ihr in Berührung kommt.
Das „eigentlich“ ist hier mitunter entscheidender als man glauben sollte. Gibt es doch inzwischen Fälle, in denen sich Fans der morbiden Unterhaltung so sehr in die Gedankengänge von Serienmördern wie Ted Bundy, John Wayne Gacy oder des Netflix-Serien-Hit-Killers Jeffrey Dahmer haben hineinziehen lassen, daß sie irgendwann tatsächlich einmal an dem Punkt angelangt sind, an dem sie selbst erfahren wollten, wie es ist einen Menschen zu töten.
In Südkorea wurde vergangenen Sommer eine junge Frau verhaftet, die durch True-Crime-Sendungen und aus der Bibliothek ausgeliehene Bücher eine im wahrsten Sinne des Wortes mörderische Besessenheit entwickelt haben soll, an deren Ende sie ein passendes Opfer gesucht habe, indem sie sich als ihre eigene Mutter ausgab, um über eine Smartphone-App den Kontakt zu einem Englisch-Nachhilfelehrer aufzubauen. Nachdem sie mit diesem Schritt erfolgreich war, sei die zierliche 23jährige, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, in einer auf einem Flohmarkt erstandenen Schuluniform bei dem Mann aufgetaucht, um ihn brutal zu erstechen.
Straftäter suchen die vorgeführte öffentliche Aufmerksamkeit
Im vergangenen Jahr verurteilte ein Gericht im englischen Winchester eine 27jährige zu lebenslanger Haft, nachdem sie ihren Liebhaber im Schlaf buchstäblich erdolchte. In beiden Fällen gaben die Angeklagten an, sich zur Vorbereitung und der versuchten Vertuschung ihrer Taten Informationen aus True-Crime-Dokumentationen bedient zu haben. Auch Kriminalisten berichten immer wieder, daß mit der gesteigerten Kenntnis über Ermittlungsverfahren und deren Möglichkeiten in der Bevölkerung auch die Raffinesse der Täter zunehme.
Schon lange ist bekannt, daß Serienkiller meist andere berühmte Mörder bewundern und sich zum Vorbild nehmen. In dem Fall der verurteilten Mörderin aus England ging dies sogar so weit, daß die junge Frau die Wände ihrer Wohnung bereits lange vor ihrer Tat mit Fotos ihrer Lieblingsgewaltverbrecher geschmückt haben soll. Ein Motiv vieler Serientäter ist laut Experten neben der Befriedigung ihrer sexuellen Triebe und Mordlust das narzißtische Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Sie wollen mit ihren Taten so berühmt werden wie ihre Idole. Sollte dies auch im Fall der zwei Frauen aus Südkorea und Großbritannien der Fall gewesen sein, hätten sie dieses Ziel erreicht. Inzwischen gibt es über die beiden „True-Crime-Killerinnen“ zahlreiche eigene True-Crime-Dokumentationen.
Die Macher der Kanäle, die sich auf Youtube, Spotify und Co. dieser Themen bedienen, geben sich natürlich größte Mühe zu betonen, daß es ihnen bei ihrer Arbeit nicht um Voyeurismus oder gar die Glorifizierung der Täter ginge. Kritiker bemängeln dennoch, daß letztere in den meisten Formaten gegenüber den Opfern einen zu großen Stellenwert einnehmen würden.
Heraus kommt man aus diesem medialen Teufelskreis nur schwer. Zumindest wenn man mit seinem Programm möglichst viele Zuschauer und Zuhörer generieren will. Denn diese wollen, ob sie es nun zugeben oder nicht, natürlich in erster Linie etwas über den bizarren Charakter der Mörder erfahren. Schließlich sind die im Gegensatz zu den meisten Ermordeten und Nutzern selbst eben keine „ganz normalen Menschen“. Und wer will schon langatmige Ausführungen über das Leben von Leuten hören, das sich von dem eigenen Alltag kaum unterscheidet.
Das moralische Getue, das einige der Video- und Audioproduzenten an den Tag legen, ist oftmals dennoch ziemlich verlogen. Hindert sie ihr vermeintliches Mitgefühl mit den Opfern doch nicht daran, über ihre Kanäle Fan-Artikel von T-Shirts bis blutigen Messern zu verkaufen, die den Namen des Podcasts tragen. Für den launigen Spieleabend zu Hause bieten die Youtuberin Kati Winter und ihr Team sogenannte „Crime Candles“ an. Mit diesen können die Spieler mit der Hilfe von Hinweisen und einem Lösungscode, die eine wohlig duftende Kerze nach und nach freigibt, in alter Cluedo-Manier auf Mörderjagd gehen.
Psychologische Wirkung von Gewaltdarstellungen
Das Ganze aber eben nicht mit ausgedachten Kriminalgeschichten, sondern, wie in der Produktbeschreibung extra erwähnt, mit „echten Verbrechen“. All das konnte man unter der Kategorie „Schwarzer Humor“ vom Schlage des berühmten Haarmann-Liedes über den deutschen Serienmörder Fritz Haarmann („Warte, warte nur ein Weilchen …“) verbuchen. Wäre da eben nicht das moralinsauere Gutmenschengetue, das die Produzenten beim Geldmachen an den Tag legen. So betonen die Verkäufer der „Crime Candle“ ausdrücklich ihre Liebe zu „Tierwelt und Natur“, weshalb ihre Kerzen für den mörderischen Rätsel-Spaß „vollständig vegan und umweltfreundlich“ seien.
Überhaupt geben sich die meisten True-Crimer ausgesprochen woke. Die Täter sind in aller Regel weiße Männer, und es wird ausgiebig gegendert und mit Begriffen wie „toxische Männlichkeit“ und „Femizid“ um sich geworfen, ohne daß dabei allzu sehr darauf eingegangen würde, welche kulturellen und ethnischen Hintergründe es sind, die Sexualstraftaten und Gewaltverbrechen gegen Frauen seit Jahren massiv ansteigen lassen.
In den Mittelpunkt ihrer Videos und Audiofolgen stellen die Stars der Szene auch gerne mal sich selbst. Dabei unterscheiden sie sich dann kaum noch von anderen Youtubern, deren Videos sich um Mode, Lifestyle oder das passende Make-up für die nächste Party drehen. Auch das uralte Prinzip „Sex Sells“ haben viele der jungen „Medienmacher*innen“ längst verstanden. Die Crime-Video-Produzentin Lucia Leona macht sich mit ihren langen blonden Haaren und ihren vollen rotgeschminkten Lippen selbst zum Augenfang und besten Argument zum Anklicken ihrer Videos, indem sie deren Startbilder mit ihrem eigenen Konterfei versieht.
Diese sehen dann meist in etwa so aus: Die junge attraktive Blondine im Vordergrund, mal mit großer sexy Nerd-Brille, mal nur mit angemalten Augenbrauen, Täter wie Josef Fritzl, der schottische Serienmörder Dennis Nilsen oder deren mitunter verpixelte Opfer im Hintergrund. Jedes ihrer „Mord am Mittwoch“-Videos beginnt die stylische Youtuberin mit einer charmanten privaten Ansprache an ihre Fans, während der sie mit einem Streichholz neckisch eine große Kerze entzündet, was nicht nur atmosphärisch gut kommt, sondern auch ihre stets makellos lackierten Fingernägel perfekt in Szene setzt.
Kriminalpsychologen wissen um die Wirkung, die das schnelle Aufeinanderfolgen von expliziten Sex- und Gewaltdarstellungen in fiktionalen Filmen auf die menschliche Psyche haben kann. Darüber, was es in einem – unter Umständen mental sowieso schon auf der Kippe stehenden – Jugendlichen auslösen kann, wenn ihm eine heiße Blondine bebilderte Gutenachtgeschichten über Mord und Vergewaltigungen erzählt, will man gar nicht nachdenken. Sollte es aber vielleicht dennoch tun: vielleicht ein neues Forschungsfeld für tatsächliche Kriminalisten.