Bildungsbericht in loser Folge: Die Reaktionen auf den jüngsten „Pisa-Schock“ fielen wie erwartet aus. Also hieß es, man müsse mehr fördern, am besten schon im Säuglingsalter, Geld in die Schulen stecken, die Digitalisierung vorantreiben, die Lehrer (wenn man welche hat) fortbilden und ein paar Radikale verlangen die Abschaffung der Kultusministerkonferenz und die Rückkehr zur traditionellen Erziehung samt Leistungsdruck. Vielleicht aber muß man eine bittere Tatsache akzeptieren, die der Soziologe Werner Sombart schon vor langem als Folge komfortabler moderner Existenz betrachtet hat: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Menschen unserer Zeit im Durchschnitt dümmer sind als die Menschen früherer Zeiten.“
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Mittlerweile trägt ein Fünftel der Neugeborenen in Frankreich einen arabisch-muslimischen Namen. Mohammed oder seine Varianten steht auf Platz 6 der Vornamen für Jungen.
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Daß man kaum noch im Geschäftsleben ein „Frohes Weihnachten“ wünscht, ist alles andere als Zufall. In der Regel dürfte es sich um eher dezente Hinweise der Firmenleitungen an die Mitarbeiter handeln, aber große Unternehmen wie Audi oder Air France geben ganz klare Order, jedem Kunden zu versichern, daß – auch gemäß den Vorgaben der Europäischen Union zum Thema Diversität – lediglich an „Frohe Festtage“ eher unspezifischen Charakters gedacht sei. Um so amüsanter, wenn ausgerechnet Fly Emirates an „Merry Christmas!“ festhält. Dazu gibt es als optischen Anker einen Jumbo-Jet im Dienst von Santa, dekoriert mit allem, was zum Weihnachtsfest gehört. Das ist nicht ganz so amüsant wie der Riesenflieger mit Nikolausmütze, der von Rentieren über den Himmel gezogen wurde, aus dem letzten Jahr, aber immerhin.
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Die Funde in Sibirien, die Archäologen als über 8.000 Jahre alte „Verteidigungsanlage“ interpretieren, die von Jägern und Sammlern um ihr – wohl mehrfach von Feinden zerstörtes – Dorf errichtet hatten, sind nicht nur ein Hinweis darauf, daß man noch mit Überraschungen rechnen muß, wenn es um die Vor- und Frühzeit geht, sondern auch darauf, daß die Anfänge der Geschichte alles andere als idyllisch waren. Die neuerdings wieder in Umlauf gebrachte rousseauistische Idee, unsere Vorfahren hätten friedlich und entspannt gelebt, bevor sie jemand in die „Luxusfalle“ (Yuval Harari) von Seßhaftigkeit und Ackerbau locken konnte, entbehrt aller Wahrscheinlichkeit, wenn man die Schlußfolgerungen betrachtet, die die erwähnten und andere Ausgrabungen nahelegen: 1. Territorialität gehört zu unserer Natur, sie ergibt sich nicht erst aus der Seßhaftigkeit im engeren Sinn; bekanntermaßen haben auch Jäger und Sammler Reviere, die sie auszudehnen suchen oder gegen fremden Zugriff schützen. 2. Unsere Spezies war nie friedlich; die Vorstellung, Krieg sei eine Art unerfreuliches und vermeidbares Nebenprodukt des Fortschritts, eine „Erfindung, die man durch eine bessere ersetzen kann“ (Margaret Mead), ist Unsinn. 3. Der Staat im Sinne elementarer politischer Organisation, der Schutz gegen Gehorsam bietet, gehört zu jeder Form von auf Dauer gestellter menschlicher Gemeinschaft.
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Der Sechsteiler „Davos 1917“, den die ARD unlängst gebracht hat, ist nicht nur bemerkenswert wegen der exzellenten Ausstattung und der erstaunlich zurückhaltenden Dosierung von Wokismus und Feminismus, sondern auch wegen der unerwarteten Seitenhiebe gegen die Entente und ihre hehren Kriegsziele, wegen des Auftretens von fast vergessenen, aber wichtigen Figuren des historischen Geschehens wie Alexander Helphand – Parvus (Sozialist, Waffenhändler, Finanzier der russischen Revolution), sondern auch wegen der „Easter Eggs“, die in der Handlung verborgen sind, also die verdeckten Anspielungen. Das hat schon etwas, wenn die deutsche Chef-
agentin einen Abschiedsbrief mit der Formel „Si vis pacem – para bellum“ („Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“) beendet und sich danach die Parabellum 08 an die Schläfe setzt.
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Noch zum Tod des CDU-Politikers und bis dahin dienstältesten Abgeordneten Wolfgang Schäuble: Das ganze Ausmaß und der Charakter der ideologischen Verschiebungen im Lauf der letzten vierzig Jahre wird auch daran deutlich, daß der Mainstream ihn jetzt als weitsichtigen Politiker und großen Demokraten gewürdigt hat und gereizte Reaktionen eher auf den Flügeln zu hören waren. Dabei wird von der Rechten vergessen, wie sehr die Linke Schäuble gehaßt und wie lange Habermas gebraucht hat, um ihn als „letzten Europäer“ und nicht mehr als verlängerten Arm des neuen deutschen Nationalismus zu betrachten.
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Angesichts der finanziellen Leistungen, die die Bundesregierung den hiesigen Bürgern abverlangt, um die Ukraine militärisch zu unterstützen, ist es immerhin erklärungsbedürftig, daß sie außerdem das Verständnis der Steuerzahler erwartet, wenn sie knapp zweihunderttausend wehrfähige Ukrainer versorgen sollen (in der Europäischen Union sind es etwa 650.000), die es vorziehen, in Deckung zu bleiben, anstatt ihr Land zu verteidigen.
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 19. Januar in der JF-Ausgabe 4/24.