Kein Krisenprophet kommt für das 21. Jahrhundert ohne den Ausblick auf Krieg, Terror, Pandemien und Klimawandel aus. Auch der Historiker Christian Geulen (Uni Koblenz) nicht, der allerdings in seinem Sortiment sich ankündigender Schrecknisse noch den „Rechtspopulismus“ führt. Dessen deutsche Variante beginne sich mit der AfD als neue „Volkspartei“ zu etablieren. Weil sie aber unter Berufung auf Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ eine Politik gegen das überkommene Ordnungssystem der repräsentativen Demokratie anstrebe, etwa durch Einführung von Volksabstimmungen, scheine ihr Wählerzuspruch eine „tiefgreifende Krise der Demokratie“ zu offenbaren. Im breiten Spektrum von Reformvorschlägen, das von linken Genossenschaftsideen über liberale Programme einer digitalen Demokratie bis eben zum „rechtspopulistischen Ruf“, nun endlich auf die „Stimme des Volkes“ zu hören, stelle jedoch auch die AfD nicht die Demokratie als Herrschaftsmodell in Frage, das als „alternativlos“ akzeptiert werde. Daher fordere weder sie noch eine andere politisch relevante Kraft die Abschaffung der Demokratie. Folglich resultiere die mehrheitliche Unzufriedenheit mit deren heutiger Form, dem Parteienstaat, weniger aus jüngsten Krisenerfahrungen als aus einer ausgeprägten Erneuerungserwartung. Die wiederum sei historische Normalität in der 75jährigen Geschichte der bundesdeutschen Demokratie, die 1949 als „reines Zukunftsprojekt“ entstand. Gerichtet auf „Abbau des Hergebrachten“, sei Demokratie als nie abgeschlossener Prozeß der Demokratisierung und eine mit jeder Generation neu einsetzende „Einübung in demokratische Kultur“ verstanden worden (Merkur, 10/2023).