© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/24 / 05. Januar 2024

Keinerlei Grund zum Feiern
Währungsunion: 1999 wurde der Euro in elf EU-Ländern als Buchwährung eingeführt / Die EZB ist kein Stabilitätsanker
Reiner Osbild

Eine Liebesheirat war es nicht; eher eine arrangierte Ehe. Befeuert vom Mißtrauen gegen das wiedervereinigte Deutschland drängten einige europäische Freunde darauf, der größten Volkswirtschaft Europas die D-Mark und damit die Oberhoheit über Europas Geldpolitik zu entreißen. Der Ehevertrag zeugte noch von einer Vernunftehe, denn die neu etablierte Europäische Zentralbank (EZB) war nach dem Muster der Deutschen Bundesbank auf Geldwertstabilität ausgerichtet. Der 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht sollte staatlichen Schuldenorgien endlich ein Ende bereiten: durch Obergrenzen von drei Prozent bei der Neu- und 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei der Gesamtverschuldung.

Schon 1999 wurde der Euro in elf EU-Ländern als Buchwährung eingeführt und die Wechselkurse festgezurrt. 2002 erfolgte die Bargeldeinführung – mit Griechenland als zwölftem Euro-Mitglied. Die Vereinbarungen erwiesen sich als brüchig; sie wurden auf allen Ebenen folgenlos verletzt. Die EZB hat die Geldbasis um mehr als das Sechsfache erhöht, um damit eine eigentlich verbotene Staatsfinanzierung vorzunehmen. Das Ziel der Geldwertstabilität hat sie untergraben, was sich zuerst in Südeuropa, dann aber übergreifend in hohen Inflationsraten widerspiegelte.

Für Deutschland war die Euro-Einführung kein gutes Geschäft

Die inzwischen 20 Euro-Staaten indes haben ihre Verschuldung munter ausgeweitet, als gäbe es kein Morgen mehr. Nicht einmal mehr im Durchschnitt erreicht die Eurozone das 60-Prozent-Kriterium; das Drei-Prozent-Kriterium wurde 138mal verletzt. Sanktionen: Fehlanzeige. Denn die souveränen Nationalstaaten verurteilen keinen der ihren, da sie selbst bei der nächsten Gelegenheit auf der Anklagebank sitzen könnten: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Zudem sind keine wirksamen Sanktionsmechanismen in Sicht. Die mächtigen Anreize, sich auf Kosten der Gemeinschaft hoch zu verschulden, wurden nicht angetastet. Aus der angestrebten Stabilitätsgemeinschaft ist eine Transfer- und Haftungsunion geworden.

Die schon mit der Ankündigung des Euro einsetzende Zinskonvergenz – also das Absacken der Anleiherenditen auf das niedrige deutsche Niveau – lieferte ein völlig falsches Signal: Kredite wurden historisch billig, und viele Staaten und Privathaushalte, zuvörderst in Südeuropa, verschuldeten sich wie nie zuvor. Freilich, durch Schuldenaufnahme triggert man die heimische Nachfrage, und das konjunkturelle Strohfeuer entfachte den Hunger nach Importgütern, etwa deutschen Autos. Das erleichterte Deutschland, die Exporte in den Rest Europas zu erhöhen, einer der Gründe, warum Deutschland sich zwischenzeitlich das (zweifelhafte) Prädikat „Exportweltmeister“ zulegte.

Die Kehrseite: Die Verschuldungsblase platzte. 366 Milliarden Euro wurden den Krisenländern allein über die Rettungsschirme zur Verfügung gestellt; knapp 100 Milliarden davon kamen aus Deutschland. Hinzu kamen großzügige Hilfsprogramme der EZB, „finanziert“ mit der Druckerpresse. Zudem wurde Griechenland durch einen üppigen Schuldenschnitt in der Größenordnung von circa 50 Prozent seines aktuellen BIP entlastet. Trotz dieser Orgie an Maßnahmen zu Lasten vor allem Deutschlands liegt die öffentliche Verschuldung des Landes aktuell bei rund 200 Prozent des BIP verglichen mit 150 Prozent bei Ausbruch der Krise.

Für Deutschland war die Eurozone kein gutes Geschäft. Denn die Arbeitnehmer der Exportindustrien verdienten zwar prächtig; auch die vor- und nachgelagerten Bereiche. Doch in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler und Sparer müssen sie bluten. Nicht nur, daß die exzessive Niedrigzinspolitik der EZB die Rendite auf Ersparnisse, etwa die beliebte Lebensversicherung, wegraubte; auch muß der Steuerzahler direkt oder indirekt für die Rettungsschirme und absehbar auch für Verluste im Finanzsektor – Stichwort Targetsalden – geradestehen.

Letztendlich finanzierten deutsche Sparer und Steuerzahler den Exportboom. Daß für sie dabei unterm Strich nichts heraussprang, beweist der internationale Vermögensvergleich des Median-Erwachsenen in Deutschland; der Median ist derjenige Deutsche, für den genau die Hälfte seiner Landsleute ärmer und die andere Hälfte reicher sind als er selbst. Der Median-Michel rangiert mit einem Vermögen von 60.600 Euro laut der Schweizer Großbank UBS nur auf Rang 29 weltweit. Das angeblich reichste Land der Welt liegt selbst in der EU nur auf Platz 15 bzw. auf Platz 13 von 20 Ländern in der Eurozone. Das Argument, die neuen Bundesländer verzerrten diesen Vergleich, da die Bürger dort zu Zeiten des Sozialismus kein nennenswertes Vermögen aufbauen konnten, wird relativiert durch den Median-Slowenen, der es trotz 45 Jahren jugoslawischer KP-Herrschaft auf über 68.000 Euro Nettovermögen bringt.

Der geldpolitischen Beliebigkeit wurde Tür und Tor geöffnet

Der schwache Euro hat überdies die Importe verteuert, etwa für Energie. Ein Hotelzimmer, das in der Schweiz 100 Franken kostet, hätte im Jahr 2000 noch für 63 Euro gebucht werden können; heuer sind 106 Euro zu berappen. Für den Süden Europas wäre eine Euro-Abwertung, für Deutschland und Nordeuropa eine Aufwertung angebracht gewesen. Doch diese sind in einem einheitlichen Währungsraum nicht möglich. Vorgängersysteme wie Bretton Woods, die Europäische Währungsschlange und das Europäische Währungssystem, die allesamt auf prinzipiell festen Wechselkursen basierten, sind krachend gescheitert, ohne daß die Macher des Euro die Lehren daraus gezogen hätten.

Wie geht es nun weiter? Nachdem der Maastricht-Vertrag und der Stabilitäts- und Wachstumspakt zu Papiertigern verkommen waren, hat man sich kürzlich in Brüssel auf eine Modernisierung der Schuldenregeln geeinigt. Danach werden der EU-Kommission vier- bis siebenjährige Haushaltsplanungen vorgelegt, deren „Nettoausgabenpfad“ unter Berücksichtigung von Wirtschaftswachstum, Zinsen, Demographie und landesindividuellen Gegebenheiten angepaßt werden kann. Maßstab für den Schuldenabbau ist die neu eingeführte Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA), in bestimmten Konstellationen aber auch die herkömmliche Defizit- oder Verschuldungsquote.

Nachdem bereits die vor „Corona“ geltenden Fiskalregeln – rund 200 Seiten an Rechtsnormen, Erläuterungen und Fallbeispielen – extrem kompliziert waren, wird jetzt der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet: Weichwährung ante portas. Keine Liebesehe, keine Vernunftehe: so wird dieser Euro seine Goldene Hochzeit nicht erleben.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordina-rius an der Hochschule Emden/Leer.