Bauern, Bahn und Brummis könnten Deutschland lahmlegen. Und das schon Anfang kommender Woche. Der Deutsche Bauernverband nennt es Aktionswoche. Im Internet wird von Generalstreik geschrieben. Sicher ist: Die Bauernproteste nehmen an Fahrt auf und reißen wichtige Branchen mit. Am 8. Januar wollen Landwirte wieder gegen die von der Bundesregierung geplante Streichung des Agrardiesels und der Kfz-Steuerbefreiung protestieren.
„Wenn diese Planungen durchgehen, bedeutet es, daß die Landwirtschaft jährlich mit einer Milliarde Euro belastet wird“, sagt Heiner Born (32), Pressesprecher des Verbandes „Land sichert Versorgung“ Nordrhein-Westfalen. Es ist kurz vor Jahresende und die Bauern stehen in Berlin. Lässig steht Born an diesem grauen und naßkalten Montagmorgen neben einem Kraftpaket, einem John-Deere-Schlepper. „Der hat 230 PS, braucht 15 Liter Diesel pro Stunde, läuft 55 Stundenkilometer Spitze“, sagt der Landwirt. Er hat den Trecker am18. Dezember direkt vors Brandenburger Tor gefahren und parkt auf dem Pariser Platz in vorderster Linie.
Es ist die erste große Demo gegen die Regierungspläne, zu der der Deutsche Bauernverband unter dem Motto „Zu viel ist zu viel! Jetzt ist Schluß!“ gemeinsam mit Landesbauernverbänden aus dem ganzen Bundesgebiet mobilisiert hat. 6.600 Bauern mit 1.700 Fahrzeugen seien, so später die Polizei, aus dem ganzen Land dem Aufruf gefolgt. In Viererreihe stehen die Trecker, Laster und Pickups fast, so scheint es, bis zur Siegessäule hoch. Auch auf der anderen Seite des Tores stehen die mächtigen Landmaschinen für jeden unübersehbar.
Was planen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) eigentlich? Ihr Haushalt war vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden (JF 23/49). Statt alles neu zu bedenken, stückelte die Ampel und versucht die fehlenden 17 Milliarden Euro anderweitig zu beschaffen. Die Bundesregierung einigte sich darauf, die Erstattungen für Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge ersatzlos zu streichen. Das kommt einem Schlachtfest gleich. Denn bislang konnten die Bauern Steueraufschläge bei Kraftstoffen für landwirtschaftliche Fahrzeuge mit grünem Kennzeichen zurückerhalten. Wenn beides wegfällt bedeutet es eine Kostensteigerung für die Bauern von knapp einer Milliarde Euro. Und das wiederum bedeutet für viele Höfe das Aus!
„Diese Regierungsentscheidung hat bei uns nur das Faß zum Überlaufen gebracht“, sagt Marco Hintze (51). Der Landwirt aus Krielow im Havelland hatte sich an dem Montag mit dreißig Fahrzeugen, Treckern und Häckslern gemeinsam mit anderen Bauern aus seinem Dorf und der näheren Umgebung um acht Uhr morgens auf den Weg gemacht. Hintze ist Präsident der Freien Bauern in Brandenburg. „Das miserable Wolfsmanagement, die überbordende Bürokratie, die mangelnde Planungssicherheit, diese Ampelpolitik schadet uns enorm.“ Der Bauer ist enttäuscht, so wie viele andere, die hier jetzt in Berlin demonstrieren. Immerhin hatten viele Bauern über Jahre grüne Politik unterstützt. Erst jüngst noch fiel der Bauernverband dadurch auf, daß er als einer der Sponsoren des Grünen-Bundesparteitags gelistet wurde.
Landwirte sehen die Kürzungen als persönlichen Angriff
Als ein ausgewiesener Kritiker der Politik der Grünen ist hingegen Alfred Dannenberg zu bezeichnen. Der agrarpolitische Sprecher der AfD im Niedersächsischen Landtag hielt vor einigen Wochen eine Rede im Hannoveraner Plenum, die zum Youtube-Hit wurde. Mit Humor und Sachkenntnis haut – verbal versteht sich – Landwirt und Erdkundelehrer Dannenberg regelmäßig den Grünen ihre weltfremden Anträge um die Ohren. Zur aktuellen Situation sagt er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Der Beschluß, die Agrardieselrückvergütung und die KFZ-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge zu streichen, hat neben der monetären Dimension auch eine symbolische Bedeutung: Nach meiner Beobachtung nehmen die Berufskollegen diese jüngsten Schritte der Bundesregierung als offenen Affront wahr.“ Und das, so Dannenberg, nachdem es schon eine sehr lange Liste von Beschlüssen und Entwicklungen zuungunsten der Landwirtschaft gebe.
Er zählt auf: Ausweisung der sogenannten „Roten Gebiete“. Die 2024 bevorstehende Vier-Prozent-Zwangsstillegung. Die angedachte Wiedervernässung von Moorgebieten. Die allgemein immer umfangreicher werdenden Regel-Kataloge, die angesichts der immer schneller werdenden Taktung neuer Vorschriften eine mangelnde Planungssicherheit für Neuinvestitionen bedeuten. Die Ausdehnung von Schutzgebieten. Der Wolf. Dazu die Senkung des Prozentsatzes für Umsatzsteuer pauschalierende Betriebe von einst 10,7 Prozent auf demnächst 8,4 Prozent. Das nach wie vor ungelöste Dilemma mit der Konkurrenz durch günstige Agrarerzeugnisse aus dem Ausland, die aber zu niedrigeren Standards als hierzulande produziert worden sind. Und das „Bauern-Bashing“. „Die Grünen stehen für einen Abbau der Tierhaltung und für stark verstärkten „Naturschutz“ auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. „Sie verfolgen ihre Ideologie. Die Wettbewerbssituation unserer Landwirte weiter zu verschlechtern, spielt der grünen Ideologie in die Hände.“
Dannenberg steht mit dieser Analyse nicht allein. Die Situation der deutschen Bauern, gerade im Vergleich zu den Produktionsverhältnissen im Ausland, machen hier vielen große Sorgen. Frank Schröder (59) ist Schweinehalter aus Großwaltersdorf im Erzgebirge. Auch er ist mit Kollegen Mitte Dezember nach Berlin zur Demo gefahren. „Im Ausland müssen die Bauern nahezu keine Steuern zahlen, wir haben doch eine extreme Wettbewerbsverzerrung.“
In Berlin treffen wir auch Diplom-Agrar-Ingenieurin Gisela Lörke (38) aus Kißlegg im Allgäu. Die Mutter von drei Kindern schildert ihre Situation so: Sie führt einen Milchviehbetrieb mit 40 Hektar Grünland und 50 Kühen. Der Hof ist seit 1707 in Familienbesitz. „Vergangenes Jahr hatte ich einen guten Gewinn erwirtschaftet: 30.000 Euro. Wenn das jetzt aber kommt, verliere ich 5.000 Euro.“ Bei ihr im Dorf, so erzählt sie, gab es einmal 20 Milchviehbetriebe, „heute sind es noch fünf“. In ganz Baden-Württemberg gab es vor 40 Jahren 73.000 Milchviehbetriebe, „heute sind es noch 4.000“, klagt Lörke.
Sie vermutet einen wichtigen Grund für das Höfesterben im Fehlen der Nachfolger. „Jeden Tag arbeiten. Auch Weihnachten. Dann diese ausufernde Bürokratie, die extrem viel Zeit beansprucht. Und es wird noch schlimmer. Im Allgäu dürfen wir nicht mit den kleinen Güllewagen rausfahren, wir sollen Schleppschläuche einsetzen. Die verdichten nur noch stärker die Böden, weil die Fahrzeuge zwei Tonnen schwerer sind.“ Lörke erhofft sich heute einfach Gehör. „Damit die Regierung diese unsägliche Gesetzesmaßnahme sofort zurücknimmt. Und was wir Bauern auch brauchen, ist endlich Wertschätzung durch die Politik und die Gesellschaft.“
Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) tritt auf der Demo auf. Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied spricht ihm seinen Respekt dafür aus, daß er vor Ort ist. „Wir erwarten, daß Sie Druck machen, da setzen wir auf Sie.“ Finanzminister Lindner sagte aus Termingründen ab, wie der Bauernpräsident sarkastisch erwähnt, dafür gibt es laute Häme.
Schaut Özdemir während seiner Rede von oben in die Gesichter der Bauern, dann könnte er eine Melange aus mitleidigem Belächeln, aber auch enorme Enttäuschung sehen, die sich in den Augen abzeichnet. Die meisten buhen ihn einfach aus. Was Özdemir später entgegenschlägt, ist blanke Wut, die sich in den Sprechchören: „Ampel weg! Ampel weg!“ Luft verschafft. Völlig anders gehen die Demonstranten mit einem anderen Politiker um. Bayerns Vize-Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler Hubert Aiwanger. Er gibt unbehelligt von den aufgebrachten Bauern vor der Tribüne, zünftig in Hut und Janker, Interviews. Für Aiwanger ist das hier ein Heimspiel, der Diplom-Agrar-Ingenieur weiß, wovon er redet, und greift die Bundesregierung an.
Landwirtschaftsminister scheitert mit Schlichtungsversuchen
Özdemirs Rede mißlingt unterdessen. Er findet nicht den richtigen Ton, als er Kritik an einem Vorredner übt, der die Haushaltspolitik in Berlin mit einem türkischen Basar verglichen hatte. Die Bauern empfinden das als Ablenkungsmanöver. Rukwied muß eingreifen. Doch Özdemir kann er nicht helfen. Er wolle sich einsetzen, sagt der Minister. Er beschwört das „Wir“. Doch dann: „Lassen Sie uns das so machen, daß wir die Zustimmung in der Mehrheit der Gesellschaft nicht verlieren. Gehen Sie nicht denen auf den Leim, die das radikalisieren wollen.“ Es folgt ein Hup- und Buh-Konzert. „Ich tue, was immer ich kann, damit es so nicht bleibt.“ Ganz sicher wurde diese Rede auch von den Kabinettsmitgliedern gehört. Und es ist einigen Demonstranten zuzustimmen, die anschließend sagen, daß sie den Eindruck hätten, der Minister verfüge wohl nicht mehr über den geringsten Rückhalt in der Regierung.
Und so schlägt einen Tag später die Bundesregierung eine neue Volte. Der Bild-Zeitung sagt Dirk Wiese, Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion, daß die Koalition nach einer Lösung „für kleine Betriebe von bis zu 80 Hektar Größe“ suche. Diese Betriebe würden durch die bisherigen Planungen zur Abschaffung der Steuernachlässe beim Agrardiesel zu sehr unter Druck geraten. Wieder eine Flickschusterei des Kabinetts? „Warum nehmen die in der Regierung nicht die Milliarde aus dem Tierhaltungsumbauprogramm?“, fragt Reinhard Jung von den Freien Bauern. „Das Programm braucht kein Schwein“, wettert er. „Meines Erachtens geht es bei der neuen Volte der Bundesregierung einzig darum, die Bauern zu spalten in Klein- und Großkonzerne.“
Die Entwicklung in Deutschland führt dazu, daß es immer weniger, aber dafür immer größere Höfe gibt. „In der deutschen Landwirtschaft wurden im Jahr 2022 rund 256.000 Betriebe gezählt“, meldet Statista. 1980 waren es noch 797.000 Betriebe. AfD-Experte Dannenberg wertet die 80 Hektar-Entscheidung als einen schlechten Kompromiß, er sei „nicht nachvollziehbar“ und „absolut inkonsequent“. „Wieso soll die Grenze bei 80 Hektar liegen? Und nicht schon bei 40 oder erst 120? Landwirtschaft ist so vielgestaltig, daß eine solche starre Grenze nun wirklich keinen Sinn macht.“ Auch Dannenberg spricht von einem „künstlichen Auseinanderdividieren“ der insgesamt betroffenen Bauernschaft. Auf der Demonstration sagte Heiner Born der JF: „Wir sind hier und hoffen, daß diese Maßnahmen zurückgenommen werden, sonst machen wir hier weiter Druck.“ Born weiter: „Dann wird es radikaler. Dann geht es mit Straßenblockaden los. Denn wir alle sollten nicht vergessen, daß an der Landwirtschaft 4,4 Millionen Arbeitsplätze hängen.“
Unterdessen erklärten sich die Spediteure des Bundesverbands Güterkraftverkehr und Logistik solidarisch und planen zusammen mit den Bauern einen Großstreik. Die LKW-Fahrer sollen bei der Maut mehr zur Kasse gebeten werden. Ein gleichzeitiger Streik der Bahngewerkschaft GDL würde den Verkehr in Deutschland so gut wie stillegen.
Infos zum Streik: www.bauernverband.de
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