Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinen Wehrdienst beim Transportbataillon 270 in Nürnberg geleistet und dort den Lastwagen-Führerschein gemacht. Mit diesem Bekenntnis auf der Plattform X (früher Twitter), versehen mit einem Bild des Politikers als Rekrut und flankiert von einem Interview in der Bild am Sonntag hat sich Söder zum Jahreswechsel in die Schlagzeilen gebracht. Seine Forderungen: Die Bundeswehr müsse gestärkt und deswegen die Wehrpflicht wieder eingeführt werden. Das gehe indes nicht über Nacht: „Wir reden über eine Umsetzung in einem Zeitraum von frühestens fünf Jahren, um die notwendigen Strukturen anzupassen. Um eine vernünftige Grundausbildung zu gewährleisten, sollte diese mindestens sieben Monate dauern“, forderte Söder in dem Zeitungsinterview. Als Alternative zu einer nur für Männer geltenden Wehrpflicht sei auch eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer denkbar, die aber verfassungsrechtlich schwierig durchzusetzen sei.
Daher müsse laut Söder zunächst der freiwillige Wehrdienst gestärkt werden. „Damit können wir sofort anfangen. Das bisherige Angebot ist nicht attraktiv genug. Alle, die freiwillig ein Jahr dienen, sollten einen Bonus erhalten: zum Beispiel die Reduzierung des Numerus clausus fürs Studium, den Erlaß von Praxissemestern oder eine Verkürzung der Ausbildungszeit. Außerdem sollte der Dienst besser alimentiert werden. All das muß natürlich auch bei einem Grundwehrdienst gelten“, schlug Söder vor.
Auf Ablehnung traf dieser Vorstoß unter anderem bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): „Ich halte die Reaktivierung der Wehrpflicht für falsch: Die Bundeswehr benötigt gut ausgebildete Profis, die gewinnt man nicht mit Zwang“, schrieb er am Montag auf X. Die Wehrpflicht verschärfe zudem den Arbeitskräftemangel für private Betriebe. „Die Enteignung der Arbeitskraft junger Menschen kann nur Ultima ratio sein.“
Losgetreten hatte die neuerlich aufgeflammte Debatte über die Wehrpflicht Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Ihre Wiedereinführung halte er angesichts der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage für möglich, sagte er der Zeit. Wie Söder bezeichnete auch Pistorius die 2011 von seinem Amtsvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) veranlaßte Aussetzung als einen Fehler. Die Wehrpflicht jetzt wieder einzuführen würde zwar auf große verfassungsrechtliche und auch strukturelle Probleme stoßen, aber die Diskussion darüber werde Fahrt aufnehmen.
Pistorius läßt derzeit vor dem Hintergrund der sich veränderten Sicherheitslage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Modelle einer Dienstpflicht prüfen, darunter das schwedische Wehrpflichtmodell. „Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, und nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende den Grundwehrdienst“, sagte er Mitte Dezember der Welt am Sonntag.
Zuvor hatte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Johann Wadephul (CDU) angesichts der Sicherheitslage die Einführung einer Dienstpflicht in der Bundeswehr, dem Katastrophenschutz und in Rettungsdiensten für unverzichtbar erklärt. „Wir werden eine wirkungsvolle gesamtstaatliche Verteidigung ohne das notwendige Personal nicht sicherstellen können. Und deswegen ist jetzt in der Tat die Zeit, über eine Dienstpflicht zu reden, die man in verschiedenen Organisationen, aber vorzugsweise natürlich in der Bundeswehr, absolvieren sollte“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Wehrbeauftragte will über mögliche Alternativen diskutieren
Auch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD), schaltete sich in die Diskussion ein und sprach sich dafür aus, neue Wehrpflicht-Modelle zu prüfen. „Die alte Wehrpflicht, die möchte glaube ich niemand zurück“, sagte sie im ARD-Morgenmagazin. Dafür sei die Bundeswehr gar nicht vorbereitet: „Es mangelt an Material, an Ausrüstung, an Ausbildern, und wir haben auch überhaupt nicht genügend Stuben“, verdeutlichte Högl. „Das heißt, die Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt wurde, die können wir nicht einfach wieder einsetzen. Aber ich werbe dafür, über mögliche Alternativen zu diskutieren.“ Auch Högl brachte das schwedische Modell ins Spiel. Dabei würden nur diejenigen verpflichtet, „die fit genug sind und die wollen“, sagte die SPD-Politikerin. „Ich fände es spannend, wenn wir über diese Konzepte vielleicht auch im Bundestag mal intensiv diskutieren würden.“
Experten verweisen mit Blick auf das immer wieder angeführte schwedische Wehrpflicht-Modell, bei dem seit 2017 alle wehrpflichtigen Frauen und Männer erfaßt, aber nur ein Teil gemustert und lediglich die eingezogen werden, die sich dazu bereit erklärt haben, auf mögliche verfassungsrechtliche Probleme in Deutschland. Denn das Vorbild in dem skandinavischen Land sieht vor, daß Frauen und Männer zwangsweise eingezogen werden können, wenn sich nicht ausreichend Freiwillige gemeldet haben. Dies könnte gegen die Wehrgerechtigkeit verstoßen, denn das Bundesverwaltungsgericht hatte 2005 in einem Grundsatzurteil entschieden, daß „möglichst alle verfügbaren Wehrpflichtigen“ auch zum Wehrdienst herangezogen werden müßten.
Da dies angesichts der schrumpfenden Bundeswehr schon damals nicht mehr möglich war, behalf sich das Verteidigungsministerium mit der Verschärfung der Tauglichkeitsanforderungen, um den Kreis der geeigneten Wehrpflichtigen zu reduzieren. Um wie in Schweden auch Frauen gegebenenfalls zwangsweise zum Wehrdienst heranziehen zu können, müßte zudem das Grundgesetz geändert werden, in dem die – derzeit ausgesetzte – Wehrpflicht lediglich für junge Männer gilt.
Bezeichnend ist im Lichte der aktuellen Debatte, wie in der vorigen Legislaturperiode ein Antrag der AfD auf Wiedereinführung der Wehrpflicht noch abgebügelt wurde. Deren Aussetzung sei „eine notwendige und richtige Entscheidung gewesen“, meinte 2018 der seinerzeitige verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Henning Otte. Den Antragstellern hielt er „romantische und verklärte Vorstellungen“ vor. Die Grünen nannten das Thema „verstaubt“, die FDP meinte, eine Wehrpflicht bringe der Bundeswehr „keinen militärischen Mehrwert“.
Vorbild Schweden?
Weil sich zu wenige Freiwillige für die Streitkräfte meldeten, beschloß Schwedens Regierung 2017 die Rückkehr zur (2010 ausgesetzten) zwölfmonatigen Wehrpflicht (värnplikt), die für Männer und Frauen gilt. Zum 18. Geburtstag bekommen sie einen Bescheid der Musterungsbehörde. Alle müssen dann einen Online-Fragebogen ausfüllen. Die Antworten entscheiden, wer anschließend zur zweitägigen Musterung geladen wird. In der Regel sind dies weniger als die Hälfte. Am Ende kommt durchschnittlich ein Rekrut auf 3,5 Gemusterte. Nach dem Grundwehrdienst sind die Absolventen verpflichtet, ihrer Einheit zur Verfügung zu stehen, sobald die Regierung eine erhöhte Bereitschaft oder Mobilmachung beschließt. Daneben sind schwedische Staatsangehörige im Alter von 16 bis 70 Jahren verpflichtet, an der schwedischen Gesamtverteidigung (totalförsvarsplikt) teilzunehmen, die auch den Zivilschutz oder das Gesundheitswesen umfaßt. Eine Wehrpflicht für Männer und Frauen gibt es auch in Norwegen und Israel. In Norwegen werden etwa fünfzehn Prozent der relevanten Altersgruppe zum Wehrdienst rekrutiert, in Israel sind es deutlich mehr. (vo)