© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/24 / 05. Januar 2024

Ländersache: Schleswig-Holstein
Nicht von „nationalem Ausmaß“
Paul Leonhard

Noch herrscht in Teilen Deutschlands Land unter, Sorgen sich Bürger um die Sicherheit ihrer Unternehmen, Häuser und Grundstücke. Mit ernstem Gesichtsausdruck hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz die Situation vor Ort angesehen, materielle Hilfe beim Wiederaufbau hat er den Betroffenen aber aus gutem Grund nicht versprochen. Denn derzeit warten noch viele Menschen in Schleswig-Holstein auf finanzielle Hilfen.

Im vergangenen Oktober hat eine Ostseesturmflut Teile der Küste verwüstet. An drei Stellen im Kreis Schleswig-Flensburg brachen die Deiche, allein in Arnis, der auf einer Halbinsel an der Schlei gelegenen kleinsten Stadt Deutschlands, auf 40 Meter Länge. Die Wassermassen überfluteten Straßenzüge und viele Häuser. Hilfe für die Betroffenen lehnte das von Cem Özdemir (Grüne) geführte Bundeslandwirtschaftsministerium ab. Schließlich seien „keine Schäden von nationalem Ausmaß entstanden“, heißt es in einem Schreiben, aus dem der NDR zitierte: Im Tourismus und in der kommunalen Infrastruktur werden sie auf insgesamt 140 Millionen Euro geschätzt, beim Küstenschutz auf 90 Millionen Euro. Das reiche nicht, um von einer nationalen Katastrophe zu sprechen, so das Ministerium.

Immerhin herrscht auf Landesebene Einigkeit, daß die Deiche schnellstens repariert und ertüchtigt werden müssen. Hier will das Land 90 Prozent der anfallenden Kosten übernehmen, für die übrigen zehn Prozent sollen die Gemeinden oder die zuständigen Wasser- und Bodenverbände aufkommen, deren Deiche gebrochen sind. Schleswig-Holstein hat angekündigt, ein Drittel dieser Deiche in die eigene Verantwortung zu übernehmen. Das wären 15 von insgesamt 39 Kilometern Ostseedeich. Diese würden dann vom Landesbetrieb Küstenschutz betreut.

Die Kritik der oppositionellen SPD, die Landesregierung habe keinen Überblick über den Zustand der Regionaldeiche, wies Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) zwar zurück, räumte aber Versäumnisse bei den Deichschauen ein.

Die schwarz-grüne Regierung will dem bereits im November aufgelegten Darlehensprogramm „Überbrückungshilfe Sturmflut“ für Privatpersonen und nicht-öffentliche Unternehmen, einen Fonds „Wiederaufbau Flutkatastrophe“ mit 200 Millionen Euro einrichten, der als Sondervermögen über Kredite finanziert werden soll. Der Landtag hat diesem in erster Lesung zugestimmt. Gleichzeitig hofft Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) auf eine angemessene Beteiligung des Bundes bei der Bewältigung der Schäden. Man gehe davon aus, daß das abschlägige Schreiben des Bundeslandwirtschaftsministeriums sich nicht mit der Haltung des Kanzlers decke, sagte eine Sprecherin der Kieler Staatskanzlei gegenüber dem NDR. Olaf Scholz habe bei der Ministerpräsidentenkonferenz im November eine Beteiligung des Bundes zugesagt, so Günther: „Ich vertraue auf das Wort des Kanzlers.“

Nach den aktuellen Überflutungen speziell in Niedersachsen könnte es in Berlin tatsächlich ein Umdenken geben, da von den Naturereignissen jetzt mehrere Bundesländer betroffen sind.