© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/24 / 05. Januar 2024

Walerij Saluschnyj. Kiews Armeechef gilt als meisterlicher Militär, doch glücklos im Feld. Wird er Selenskyj nun gefährlich?
Liebling der Nation
Paul Leonhard

Wenn Saluschnyj „einen unbeleuchteten Raum betritt, schaltet er nicht das Licht an, sondern die Dunkelheit aus“, heißt es in einem in der Ukraine populären Tiktok-Clip. Walerij Saluschnyj, seit Sommer 2021 Oberkommandierender der ukrainischen Streitkräfte, gilt seinen Landsleuten längst als schlauer, trickreicher Heerführer, als Wiedergeburt der Sagengestalt Ilja Muromez.

Wahlweise wird er General des Glücks, nach der erfolgreichen Gegenoffensive bei Charkow 2022 auch als eiserner General oder der „ukrainische Mannerheim“ bezeichnet. Denn der 1973 in Wolhynien in der Nordwest-Ukraine geborene Offiziers-Sohn gilt als „gefährlichste Waffe im Arsenal Kiews“ (RND), als Meister des strategischen Verwirrspiels und als Reformer, der aus einer Sowjetblockarmee „eine quirlige, dezentrale, digital gerüstete Überraschungstruppe formiert“ schwärmt der Sender n-tv. Sein Offizierspatent erhielt der Maschinenbauer 1997, Kampferfahrung erwarb er bereits 2014, als er eine Brigade bei Debalzewe im Donbass befehligte und 2019 baute er als Leiter des Einsatzkommandos Nord neue Kampfeinheiten auf.

Laut Umfrage vertrauen 88 Prozent des Volkes dem deutlich über 1,80 Meter großen Mann mit der Statur eines Bären. Während Präsident Selenskyj nur noch auf 62 Prozent kommt. Und das obwohl Saluschnyis Operationen einen hohen Blutzoll gefordert haben, seine Früjahrsoffensive in russischen Minenfeldern liegenblieb und er vor Weihnachten die Aushebung bis zu einer halben Million neuer Soldaten verlangt hat.

Saluschnyj will, so die Gerüchte, Selenskyj bei der Präsidentenwahl im März herausfordern. 

Zwischen Präsident und Armeechef knirscht es derweil. Im November warnte letzterer in einem Gastbeitrag im britischen Economist vor einem Stellungskrieg und erklärte öffentlich, man stecke in einer „Pattsituation“ fest. Der Präsident, der Zuversicht verbreiten will, widersprach. Dann protestierte Saluschnyi lautstark gegen die Entlassung der Chefs der regionalen Rekrutierungsbüros im Zuge der Korruptionsbekämpfung: „Das waren Profis, die wußten, wie man das macht!“ Und gegenüber US-Verteidigungsminister Lloyd Austin soll er geklagt haben, Selenskyj umgehe ihn, wende sich direkt an die Kommandeure und das Präsidialamt mische sich in seine Kompetenzen ein.

Selenskyj schoß selten scharf zurück, ebenfalls über eine britische Zeitung, das Boulevardblatt Sun: „Wenn man den Krieg mit dem Gedanken führt, morgen Politik oder Wahlkampf zu machen, verhält man sich in Worten und an der Front wie ein Politiker, nicht wie ein Militär.“ Der General solle gefälligst die Hierarchie respektieren, zumindest so lange man sich im Krieg befinde. Hintergrund sind Gerüchte, der 50jährige wolle Selenskyj bei der Präsidentenwahl am 31. März herausfordern – falls diese, wie von der Verfassung verlangt, stattfindet. Selenksyj möchte sie verschieben, was, so meint er, wegen des Kriegsrechts möglich wäre. 

Widersprüchlich erscheint der Wille des Volkes, das einerseits mehrheitlich einer Verschiebung zustimmt, sich aber andererseits laut Umfragen bereits 2022 den General als Staatschef gewünscht hat. Und auch aus den aktuellen Erhebungen läßt sich der Wunsch nach einem starken Militär an der Spitze des Landes herauslesen. Dabei wollte Saluschnyj, das verriet er dem Time Magazine, ausgerechnet mal Komiker werden – wie es Selenskyj war, bevor er Präsident wurde.