Herr Grupp, nach 54 Jahren haben Sie zum 1. Januar die Führung Ihres Traditionsunternehmens abgegeben. Können Sie wirklich „loslassen“?
Grupp: Ja, so haben wir das vereinbart. Ich höre ja nicht auf zu arbeiten. Und schon bisher haben wir alles gemeinsam beraten und im Grunde auch entschieden. Was sich geändert hat ist, daß nun nicht mehr ich das letzte Wort habe, sondern die Kinder – und das ist doch auch schön.
Ja. Doch insgeheim, bereuen Sie es nicht? Ein klein wenig vielleicht? Psst, mir können Sie es sagen.
Grupp: Wissen Sie, im Frühjahr werde ich 82. Früher habe ich einfach weitergearbeitet, doch heute spüre ich abends um sechs, wie lange ein Arbeitstag doch ist. Vor allem aber: Ich werde nicht ewig leben, und bevor es zu Ende geht, muß ich die Weichen gestellt haben. Denn zu meinen Pflichten gehörte es nicht nur, das Unternehmen verantwortungsbewußt geführt, sondern auch, es verantwortungsbewußt übergeben zu haben.
Aber ist das denn so einfach, nach immerhin über einem halben Jahrhundert?
Grupp: Man muß den Wandel der Zeit mitmachen – daran habe ich mich schon immer gehalten! Deshalb ist Trigema wohl auch die einzige deutsche Firma meiner Branche, die überlebt hat.
All die großen Namen, passé ...
Grupp: Ja, und ebenso unsere einst großen Kunden, die Kaufhauskönige ... Daß ein Haus wie Karstadt Konkurs macht, hätte man sich früher kaum vorzustellen vermocht!
Wie ist es Ihnen gelungen, Trigema gegen diesen fundamentalen Wandel zu erhalten?
Grupp: Wissen Sie, früher gab es allein bei uns in Burladingen 26 Textilfabriken. Und wer zum Beispiel vierhundert Mitarbeiter hatte, war reicher, als wer dreihundert hatte, da er mehr produzierte und verkaufte. Doch das hat sich plötzlich geändert.
Weil im Ausland günstiger hergestellt wurde und die Arbeitskosten in Deutschland zu hoch waren?
Grupp: Nein, weil meine Konkurrenten begannen, dem Handel hörig zu sein und bei zu niedrigen Preisen, die man von ihnen verlangte, nicht „Nein!“ sagten.
Was haben Sie denn gemacht?
Grupp: Was bleibt, wenn der Koch nicht mehr kocht? Sterben oder selber kochen! Also mußte ich mir neue Kunden suchen. Nach den Kaufhaus- und Versandhauskönigen kamen die SB-Könige wie Metro etc. und danach die Discounter, voran Aldi.
Sie haben Ihre Mode bei Aldi verkauft?
Grupp: Zeitweise fast die Hälfte unserer Produktion! Schließlich wollte Aldi sie als seine Hausmarke vertreiben – allerdings zu dreißig Prozent niedrigeren Preisen. Ich wußte, mache ich das, endet das in einer Abwärtsspirale! Also mußte ich mir etwas einfallen lassen: So bin ich eben selbst in den Handel eingestiegen und habe unsere Testgeschäfte eröffnet.
Hätte Sie das nicht auch ruinieren können?
Grupp: Nichts ist ohne Risiko, aber ich habe zum vermeintlich leichten Weg – zu geringe Preise akzeptieren, Löhne senken, Mitarbeiter kündigen, schließlich die Produktion ins Ausland verlagern – nein gesagt und stattdessen das Problem gelöst. Und ich meine, das ist es, was wir in Deutschland verlernen: Zu verstehen, daß nicht die Probleme an einer Misere schuld sind, sondern wir selbst, weil wir diese nicht lösen! Denn es ist unsere Aufgabe, sich den sich stetig verändernden Umständen anzupassen, so ist das immer im Leben! Macht uns „ein Problem zu schaffen“, macht uns in Wahrheit nicht das Problem zu schaffen, sondern unser Unvermögen, es zu beheben. Und wenn wir große Probleme haben, dann in aller Regel nur deshalb, weil wir sie nicht gelöst haben, als sie noch klein waren.
Allerdings denkt inzwischen „jeder vierte mittelständische Unternehmer ... über eine Produktionsverlagerung ins Ausland nach“, meldet die Tagesschau.
Grupp: Weil der Standort Deutschland angeblich zu teuer ist. Aber das ist er nicht! Sondern die Produkte dieser Firmen sind nicht qualitativ und innovativ genug, um die höheren Preise – die wir verlangen müssen, wenn wir in Deutschland produzieren – in den Augen ihrer Kunden zu rechtfertigen.
Aber ist die Politik nicht dabei, den Standort Deutschland zu ruinieren?
Grupp: Sicher hat gute Politik die Wirtschaft zu unterstützen. Aber für ein Scheitern gibt es immer nur einen Schuldigen – und das ist nicht der Standort, die Umstände, die Konkurrenz, die neuen Zeiten oder der Strukturwandel. Nein, das sind immer wir selbst. Und anders als man meinen mag, ist das keine negative Einstellung, sondern eine positive: Denn in ihr liegt die Zuversicht, daß wir jede Herausforderung zu meistern vermögen! Das ist die Haltung, mit der uns nach 1945 – und denken Sie daran, wie damals die Umstände waren! – das Wirtschaftswunder gelungen ist.
Heute leidet Deutschland unter horrenden Strompreisen, Energieversorgungsunsicherheit, maroder Infrastruktur, Überregulierung etc. Sollten wir, statt uns daran anzupassen, nicht lieber die für all das verantwortliche Politik „anpassen“?
Grupp: Natürlich. Aber auch eine schlechte Politik kann ein Unternehmen nicht ruinieren, das gut geführt wird. Deshalb: Wir müssen wieder gut wirtschaften! Wie erreichen wir das? Indem wir zur persönlichen Haftung zurückkehren. Denn früher hat ein Unternehmer für seine Firma gehaftet – heute aber gründet man eine GmbH. Dann wird kassiert, solange es gut geht, und ist das nicht mehr der Fall, wird der Bettel einfach hingeworfen.
Oder man genehmigt sich Millionen-Boni, wie kurz vor Weihnachten bei der Deutschen Bahn.
Grupp: Bei der Bahn sollte man sich die Aufsichtsräte anschauen, denn die genehmigen die Boni der Vorstände. Ebenso der Fall Benko: Wieso ist es überhaupt möglich, daß ein Mann für zehn Milliarden Euro Kredite bekommt? Seit Jahr und Tag schon fordere ich von der Politik Maßnahmen, um das Prinzip der Haftung wieder einzuführen – doch nichts passiert! Dabei würde sich das Problem bei einem Steuerrabatt von zum Beispiel fünfzig Prozent für jeden, der bereit ist zu haften, weitgehend lösen, weil dann Haftung zu übernehmen attraktiv wäre. So aber wird sich nichts ändern, und am Ende gilt: Der Standort Deutschland ist eben nur so gut wie seine Unternehmer sind!
Aber im Frühjahr 2022 haben Sie doch selbst gewarnt, Trigema drohe wegen der Explosion des Gaspreises ein „Produktionsstopp“, da solche Kosten „auf Dauer nicht durchzuhalten sind“.
Grupp: Ja, und ich habe schon am ersten Tag des Ukrainekriegs gefragt, wie es möglich ist, daß wir mit Rußland zwanzig Jahre kooperiert haben und dann innerhalb kürzester Zeit zu Feinden werden? Da muß doch etwas im Hintergrund gelaufen sein, sprich, die Politik Fehler gemacht haben! Und obendrein werden weiter fleißig Waffen geliefert, wobei die vielen Zehntausende von Toten gar keine Rolle zu spielen scheinen – ganz zu schweigen von den Umweltkatastrophen.
Zeigt das nicht, daß eben nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Regierung entscheidenden Einfluß auf die Attraktivität des Standorts Deutschland hat?
Grupp: Wenn Sie allerdings von der Ampel-Regierung sprechen, dann dürfen Sie von Frau Merkel nicht schweigen! Denn vieles der heutigen Situation hat doch sie uns hinterlassen. Darunter auch eine Union, die sie als neue Parteichefin nach der Bundestagswahl 2002 mit 38,5 Prozent übernommen und am Ende ihrer Kanzlerschaft mit 24 Prozent nach der Wahl 2021 hinterlassen hat. Wäre aber die Union nicht seitdem so ramponiert, hätten wir heute statt der Ampel vermutlich eine bewährte Zweier-Koalition! Wobei ich allerdings nicht verstehe, warum die FDP sich weiter an einer Regierung beteiligt, die laut Umfragen von den Bürgern eindeutig nicht mehr gewollt wird? Da zielte die Mitgliederbefragung, die nun leider gescheitert ist, in die richtige Richtung. Warum also zieht man nicht die Konsequenz, scheidet aus der Ampel aus und ermöglicht Neuwahlen? Was die Wähler, wie ich glaube, honorieren würden. Zudem wäre die Union dann wohl stärkste Kraft – und endlich würde wieder marktwirtschaftsfreundliche Politik gemacht!
Sind Sie sich da sicher? Sprechen die 16 Jahre unionsgeführte Regierung zuvor, vier davon in trauter Harmonie – „Wildsau!“, „Gurkentruppe!“, falls Sie sich erinnern – mit der FDP, eine andere Sprache?
Grupp: Das stimmt, und ich habe ja auch öffentlich gesagt, daß ich deshalb die Union nicht mehr wähle. Jetzt aber führt sie Friedrich Merz, und ich hoffe, daß er endlich wieder CDU-Politik macht.
Beobachter geben zu bedenken, daß ihm das in der CDU bis 2004, das Jahr, in dem er sich zurückzog, möglich gewesen wäre. Heute aber sei die CDU, auch dank Merkel, eine andere Partei, in der höchstens ein gewendeter Merz noch genug Unterstützung finde.
Grupp: Mag sein, in bin kein Politikexperte. Aber ich frage Sie mal: Warum ist Trigema oder meine Person öfter in der Presse?
Weil Sie bekannt sind?
Grupp: Ja, aber warum? Trigema ist doch eine ganz normale Firma, wie andere auch.
Wegen Ihrer engagierten Art?
Grupp: Weil das, was ich einfordere, eigentlich ganz normale Dinge sind und viele Leute sagen: Jawohl, da hat er recht! Und daher würde ich Friedrich Merz raten, sich daran zu orientieren.
Manche erhoffen sich nun Besserung vom neuen Bündnis Sahra Wagenknecht. Was halten Sie davon?
Grupp: Persönlich schätze ich Frau Wagenknecht. Zu ihrer Partei jedoch kann ich nichts sagen.
Fürchten Sie nicht, sollte ihr ein gewisser Erfolg beschieden sein, könnten unternehmerfeindliche Vorstellungen neue Popularität gewinnen?
Grupp: Nein, denn dafür sorgen vielmehr jene, die ihr Unternehmen ohne Verantwortungsgefühl gegenüber Mitarbeitern und Steuerzahlern führen. Würde dagegen das Prinzip der Haftung wieder gelten, bräuchten wir uns darum keine Sorgen zu machen. Denn Firmen, die verantwortungsvoll geführt werden, deren Inhaber sich vielleicht sogar als Mäzene betätigen, wie etwa Reinhold Würth, sind so beliebt, daß ihre Mitarbeiter und die Menschen der Region aus der sie kommen, sogar regelrecht stolz auf sie sind. Unternehmerfeindliche Einstellungen finden dann kaum fruchtbaren Boden.
Anfang Dezember wurde bekannt, daß Ihr Kollege Theo Müller mit AfD-Chefin Alice Weidel essen war. Nun fordert die Politik ein Bekenntnis der deutschen Unternehmer gegen deren Partei. Sind Sie dazu bereit?
Grupp: Weder bin ich deshalb angesprochen worden, noch ist das meine Aufgabe.
Eben, es ist nicht Ihre Aufgabe. Ist ein solches Ansinnen folglich nicht ein Übergriff ? Wie er doch, schauen wir in die Geschichte, typisch für Ideologiestaaten ist.
Grupp: Nochmal, weder wurde ich, noch fühle ich mich angesprochen, weshalb ich nichts weiter dazu sagen kann. Wenn allerdings die Politik ein Problem mit der AfD hat, dann sollte sie sich vielleicht mal fragen, warum so viele Leute diese wählen. Ich glaube, weil sie merken, daß das die anderen Parteien am meisten ärgert. Das einfachste wäre also, gute Politik zu machen. Denn auch in der Politik gilt, wenn die Leute spüren, daß Politiker ihrer Verantwortung gerecht werden, sind diese beliebt und es gibt keinen Grund, sie ärgern zu wollen oder abzuwählen.
2022 hat der Parlamentskorrespondent der „Bild“-Zeitung, Ralf Schuler, die Frage gestellt, warum die Glasfassade des „Haus der Deutschen Wirtschaft“ in Berlin, dem Sitz von BDI, BDA und DIHK, von einer gigantischen Regenbogenfahne – also der Flagge einer politischen Bewegung – fast völlig verhüllt ist. Haben Sie darauf eine Antwort?
Grupp: Nein, aber ich habe davon auch noch nicht gehört. Was ich mich beim Stichwort BDI aber frage ist, wie dieser es zulassen konnte, daß Ex-Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt – der als langjähriger Inhaber seines Amtes doch ein Vorbild sein müßte – seine Firma 2022 quasi in die Insolvenz verkauft hat! Womit wir wieder beim Thema Anstand und Verantwortungsbewußtsein wären.
Herr Grupp, was müssen Ihre Kinder bei Trigema und was muß die deutsche Wirtschaft insgesamt verändern, um auch im 21. Jahrhundert zu bestehen?
Grupp: Ihre Frage zeigt schon das Problem: Sie müssen nicht „etwas“ verändern, sie müssen sich ständig verändern: Die Welt ist konstant im Wandel, und das haben auch wir zu sein! Denn kaum ist eine Änderung bewältigt, kommt schon die nächste: Etwa hatten wir kaum die Einbrüche durch die Corona-Lockdowns aufgefangen, kam schon der Gaspreisschock. Und ebenso müßte eigentlich die Politik funktionieren. Es kommen zum Beispiel Flüchtlinge oder wir wollen das Klima schützen – also müssen wir so und so reagieren. Nun merken wir aber, unter den Flüchtlingen sind auch viele Scharlatane, oder der Klimaschutz überfordert uns finanziell – also müssen wir erneut reagieren und unsere vorherige Reaktion daran anpassen. Nur leider bleibt die Politik gerne bei einmal getroffenen Entscheidungen. Bis diese so falsch laufen, daß sie gezwungen ist, zu handeln. Dabei könnte vieles so viel einfacher und effizienter funktionieren, mit nur etwas mehr Verantwortungsbewußtsein und Sinn für die Realität. Ich hoffe, meinen Kindern habe ich beides mit auf den Weg gegeben!
Wolfgang Grupp, ist bekannt durch seine zahlreichen Auftritte in Presse, Funk und Fernsehen sowie für sein Bekenntnis zum Standort Deutschland und fürsorglich soziale Unternehmensführung. Geboren wurde der Betriebswirt, der den Textilhersteller Trigema von 1969 bis 2023 führte, 1942 in Burladingen – dem Stammsitz des vom Großvater 1919 gegründeten Traditionsunternehmens auf der Schwäbischen Alb.