Fritz Bartel lehrt Internationale Politik an der Texas A&M University in der Unistadt College Station nördlich von Houston. Sein Buch über den „Triumph gebrochener Versprechen“ ist für Ökonomen interessant, denn der Autor widmet sich dem unverzichtbaren Öl und Kapitalflüssen zwischen den Wirtschaftsräumen. Es geht vor allem um die Reformunfähigkeit von Regierungen bei wirtschaftlichen Herausforderungen, speziell in der Endphase des Kalten Krieges.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die kapitalistischen wie die sozialistischen Volkswirtschaften bis zur ersten Ölkrise 1973/74 schnell gewachsen. Nicht nur im Osten, sondern auch im Westen konnte die staatliche Zuständigkeit für das materielle Wohlergehen der Bevölkerung ausgeweitet werden und die Menschen einen steigenden Lebensstandard erwarten. Als das extensive Wachstum nach der Wiederaufbauphase abflachte und sich gleichzeitig der Ölpreis vervielfachte, wurde in vielen Volkswirtschaften eine strukturelle Anpassung notwendig, um künftig intensiv wachsen zu können, also durch effizienteren Ressourceneinsatz.
Derartige Reformen erfordern oft eine mehrjährige Absenkung des Lebensstandards der Massen. Es kommt zu steigenden Preisen, Betriebsschließungen und Arbeitslosigkeit. In mehreren Einzelfällen deutet Bartel eine Senkung der Realeinkommen um ein Viertel als erforderliche Größenordnung an. Und das ist offensichtlich ein Problem für alle Regierungen. Die Annahme liegt nahe, daß demokratisch gewählte Regierungen besondere Schwierigkeiten damit haben, ihrer Bevölkerung Opfer zuzumuten.
Das Ergebnis von Bartels Analysen zeigt allerdings, daß diese Schwierigkeiten in kommunistischen Diktaturen noch größer als in Demokratien gewesen sind. Weder Polen noch Ungarn oder die DDR konnten die erforderlichen Reformen durchsetzen. Lange konnten preisgünstige Öl- und andere sowjetische Rohstofflieferungen die dortigen Staatsparteien davor bewahren, die Erwartungen der Menschen allzu sehr enttäuschen zu müssen. Auch westliche Kredite und eine steigende Auslandsverschuldung kommunistischer Länder im Westen hatten eine ähnliche Funktion.
Umbau der Wirtschaft führt oft zur Absenkung des Lebensstandards
Aber die Kosten des Ostblock-Imperiums wurden für die Sowjetunion immer unerträglicher. Öl, Gas und andere Rohstoffe hätten sich ja im Westen gegen harte Devisen statt Transferrubel verkaufen lassen. Als der Ölpreis in den 1980er Jahren wieder einbrach und die Sowjets gleichzeitig massiv im Westen Getreide einkaufen mußten, hatte das KP-Politbüro die Wahl, entweder den Interessen der eigenen Bevölkerung oder denen der Verbündeten Vorrang zu geben. Das führte zu abnehmender Versorgung der Osteuropäer mit Öl und Rohstoffen durch die Sowjetunion und zunehmender Verschuldung dieser Länder im Westen.
Die wirtschaftliche Last des roten Imperiums hat dann in den 1980er Jahren den Abschied von der Breschnew-Doktrin vorbereitet. Ohne Rückhalt in Moskau und in Anbetracht der Abhängigkeit von westlichen Krediten wagten die mittelosteuropäischen Staaten nicht den Weg der repressiven Stabilisierung nach chinesischem KP-Modell. Doch die notwendigen wirtschaftlichen Reformen wurden in Mittelosteuropa erst unter den ab 1990 etablierten demokratischen Regierungen möglich. Die Sowjetunion hat unter dem letzten KP-Chef Michail Gorbatschow die notwendigen Reformen wegen der damit verbundenen Absenkung des Lebensstandards verschleppt und lieber Zugeständnisse an den Westen gemacht. Im Zuge der Wiedervereinigung erfolgten diese vor allem an die Bundesrepublik Deutschland, um weiter Zugang zu westlichen Zahlungen zu bekommen. Der Westen hat den Kalten Krieg dank seiner größeren Wirtschaftskraft und Reformfähigkeit gewonnen.
Im demokratischen Westen konnten schmerzhafte Reformen durchgesetzt werden. Beispiele dafür sind Großbritannien unter Magaret Thatcher und die Überwindung der Inflation Anfang der 1980er Jahre durch Paul Volckers monetaristische Geldpolitik am Anfang der Reagan-Zeit. In beiden angelsächsischen Ländern waren die Reformen mit einer harten Politik gegenüber den Gewerkschaften, steigender Arbeitslosigkeit, lange stagnierenden Einkommen für die meisten Menschen und zunehmender Ungleichheit verbunden. Die neoliberale Ökonomik hat zur Legitimation der Reformen beigetragen. Härte und Disziplin konnten als Tugenden hervorgehoben werden. In den USA kam hinzu, daß Zuflüsse ausländischen Kapitals die Last des Imperiums erleichterten. Die Sowjets mußten hingegen ihre Alliierten stützen. Die US- Alliierten trugen dagegen zur US-Finanzierung bei.
Es ist ein Vergnügen, Bartels Buch zu lesen. Einerseits kann man es in der Tradition von Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek als Ergänzung ihrer Kritik an Planwirtschaften auffassen. Andererseits gibt es auch Stellen in dem Buch, wo der Eindruck entsteht, daß Bartel durchaus offen für linke Kapitalismuskritik ist. Ob die Reformfähigkeit westlicher Demokratien generell höher ist als die von Autokratien, bleibt fraglich. Denn in Asien haben sowohl China als auch Vietnam eine unerwartete KP-Reformfähigkeit gezeigt. Die zunehmende Verschuldung im Westen dürfte die Reformfähigkeit der Demokratien absehbar wieder auf die Probe stellen.
Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn. 1998 gründete er die Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft mit.
Fritz Bartel: The Triumph of Broken Promises. The End of the Cold War and the Rise of Neoliberalism. Harvard University Press, Cambridge 2022, gebunden, 429 Seiten, 45 Dollar