Nun soll es der ehemalige sozialdemokratische Bildungsminister Ronald Plasterk (PvdA) richten. Er sondiert jetzt als Unterhändler die Möglichkeit einer Rechtskoalition in den Niederlanden. Nach der Erkundungsphase stellte Plasterk dann fest, daß es eine Grundlage für Verhandlungen zwischen Geert Wilders’ Partei für die Freiheit (PVV), der liberal-konservativen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), Pieter Omtzigts neuer Partei Neuer Sozialvertrag (NSC) und der Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) gebe, daß aber insbesondere der NSC Bedenken hinsichtlich des rechtsstaatlichen Charakters einiger Positionen des rechten Wahlsiegers PVV habe. Seiner Ansicht nach müssen sich die Parteien zunächst zusammensetzen, um dies in den kommenden Wochen weiter zu erörtern.
Omtzigt verlangte von Wilders zuallererst ein schriftliches Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat abzulegen. Zwar hatte er sich noch am Wahlabend bereit erklärt, mit Wilders PVV zu koalieren, ruderte dann aber zurück, um sich jetzt doch wieder anzunähern. Nun also erst mal der Gesinnungstest, bevor weitergeredet wird. Dilan Yeşilgöz, die neue VVD-Vorsitzende erklärte, sie wolle auf gar keinen Fall eine Koalition mit den Linken.
Die Opposition zeigte sich unsportlich und blieb sitzen
Dies verwundert nicht so sehr, denn eine solche hatte ja eben erst zum Scheitern der Regierung und zu den Neuwahlen, bei denen die Liberalen deutlich abgestraft wurden, geführt. Mit Wilders PVV, so Yeşilgöz am Tag nach der Parlamentswahl, wolle sie aber auch nicht koalieren, sondern eine solches rechtes Kabinett allenfalls dulden. Doch ohne die Beteiligung der VVD wird eine Regierungsbildung schwierig.
Die Tierschutzpartei PvdD, mit drei Sitzen im Parlament vertreten, hätte sich eine Regierungsbildung mit den Linksgrünen gewünscht, wohingegen Thierry Baudet vom Forum für Demokratie mit seinen drei Mandatsträgern verlautbarte, er stünde für eine rechte Regierung bereit – allerdings nicht, wenn Pieter Omtzigt (NSC) auch dabei wäre.
Großherzig erklärte der Wahlverlierer Frans Timmermans, der seinen Job als EU-Umweltkommissar aufgegeben hatte, um neuer Regierungschef der Niederlande zu werden, er habe keinen Grund für eine Teilnahme an „irgendeiner Koalition“, sondern sehe sich als Oppositionsführer. Keinen anderen Schluß hätte das Wahlergebnis auch zugelassen und in genau dieser Rolle wollen ihn doch die niederländischen Wähler sehen. Trotz der Fusion der beiden linken Parteien Grün-Links und PvdA reichte es nur für 15,8 Prozent der Stimmen.
Wie unsportlich Timmermanns mit seiner Wahlniederlage umgeht, offenbarte er diese Woche im niederländischen Parlament. Martin Bosma von der PVV wurde zum Vorsitzenden der Zweiten Kammer gewählt. Alle applaudierten und gratulierten, lediglich die Fraktion GL-PvdA blieb mit säuerlich-versteinerten Gesichtern sitzen. Denn deren Kandidat Tom van der Lee hatte nur 66 Stimmen erhalten, Bosma 75.
Wilders frohlockte: „Wir sind zur größten Partei in den Niederlanden geworden, haben begonnen, Informationen bereitzustellen, haben den neuen Sprecher des Repräsentantenhauses gestellt, eine neue politische Realität ist entstanden, und darauf bin ich sehr stolz.“
Bis zum Januar soll eine zweite Sondierungsrunde abgeschlossen sein, danach werden die Koalitionsverhandlungen beginnen. Voraussetzung dafür ist, daß Wilders – wie von Omtzigt gefordert – seine „Demokratieerklärung“ unterschreibt. Ein ähnliches Dokument wurde in diesem Sommer in der Provinz Flevoland unterzeichnet, wo die PVV mit der Bauernbewegung (BBB) eine Koalition bildet.
Die niederländische Entwicklung bewegt die Parteien in Belgien
Caroline van der Plas, die Parteichefin der BBB, ließ das „Konzept für ein Fraktionsvorsitzendenmanifest“ bereits an die Zweite Kammer übermitteln. In diesem verpflichten sich die Unterzeichner zur Meinungsfreiheit, zu Religionsfreiheit, zum Recht auf Demonstrationen, zum Schutz der persönlichen Lebensgestaltung und zur körperlichen Unversehrtheit, zur Bildungsfreiheit und zur Gewaltenteilung. Wörtlich heißt es: „Wir haben Respekt voreinander in all unserer Unterschiedlichkeit und handeln danach. Wir haben das Recht zu sein, wer wir sind und zu glauben, was wir glauben und was wir nicht glauben.“
Die Wahl von Bosma ist ein sicheres Indiz, daß es eine Mitte-Rechts-Regierung in den Niederlanden geben wird. Zum einen ist der Vorsitzende der Zweiten Kammer immer Mitglied der Regierungskoalition, zum anderen würde ein Negieren des Wählervotums zu sofortigen Neuwahlen führen. Das möchte in der aufgeheizten Stimmung niemand riskieren. Wohnungsnot, Asylkrise, Bauernsterben – alle diese Themen dulden keinen Aufschub.
Die kommende Rechtsregierung wird auch nach Belgien ausstrahlen, wo im Juni 2024 gewählt wird. Seit Monaten befindet sich der Vlaams Belang im Umfragehoch. Tom van Grieken ist gerade zum Parteivorsitzenden wiedergewählt worden, auffällig häufen sich Einladungen zu öffentlichen Auftritten und in Talkshows. Die konservative N-VA wird nicht umhinkommen, nach der Wahl das Gespräch mit dem Vlaams Belang zu suchen und die Brandmauer aufzugeben. Beide zusammen hätten dann eine absolute Mehrheit in Flandern – eine Teilung Belgiens könnte damit in greifbare Nähe rücken.