© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/23 - 01/24 / 22. Dezember 2023

Grüße aus … Wien
Geht’s ihr schlecht?
Caspar Innstädter

Das erste Adventswochenende hat auch in Wien Seltenes gebracht: Schnee. Wien ist keine Schnee-Stadt. Daß es im Radio hieß, so viel Schnee hatten wir hier zuletzt 1938, ist übertrieben. In den 1990er Jahren sei auch mal länger was liegen geblieben, klärt mich ein Wiener Publizist beim Abendessen auf. Als ich zu diesem Abendessen gehe, schlendere ich vorher noch über den Christkindlmarkt im Belvedere-Schloßgarten. Einer der schönsten! Aus einer Anlage schallt leise gedämpft „Fairytale of New York“ von den Pogues. Natürlich. Shane MacGowan ist am 30. November gestorben. Die Leber Irlands. Das republikanische Christkind. Der Shane, der nach der Lektüre von Karl Marx nie zurück zum katholischen Glauben fand. 

Spät abends treffe ich in meinem Stammgasthaus eine Freundin aus New York. Sie ist Sozialistin und zu Tränen gerührt, als wir nochmal Lieder von The Pogues hören. Der Christkindlmarkt am Wiener Rathaus ist natürlich der imposanteste: Ein halber Adventskranz mit roter Schleife und vier Kerzen als Torbogen-Eingang vor dem hell erleuchteten Rathaus. Bio-Maroni, Bio-Glühwein und für die feinsten Gaumen Bio-Leberkäse. Auch Schlittschuhlaufen kann man. Ein Schild auf der Bahn warnt in der Kurve vor Drei-Prozent-Neigung. 

Ich denke sofort an den Bio-Leberkäse. Dann an Shane MacGowan. Und an „Fairytale of New York“.

Am Christkindlmarkt am Burgring duftet es mehr nach Weihnachten. Gleich am Eingang nach heißer Wurst. Den Marillenkrapfen, den ich esse, schmeckt man erst, wenn man zweimal hineinbeißt.

An die Politik denken in der staden Zeit (Karl Valentin) sichtbar nur das Burgtheater, das Parlament und die Präsidentenkanzlei. Schwarz auf Rot hängen zwei Transparente von der Vorderseite des Schauspielhauses: links „Nach der Vorstellung: Aufstehen“ und rechts daneben „Aufwachen, bevor es wieder finster wird“. 

Das Parlament ist von einer Lichtinstallation beleuchtet. Links die Losung „Alle Menschen sind frei und gleich“. Rechts auf englisch „All human being born free and equal“. Die Kanzlei des grünen Bundespräsidenten hat unweit der Hofburg vis-à-vis zum Kanzleramt am Ballhausplatz Kunstwände aufgestellt: „Demokratie muß jeden Tag erneuert werden“, werde ich gemahnt. Warum eigentlich? Geht’s ihr schlecht? Erneuert werden müssen ein paar Rohre in der Hofburg. Zwischen dem ersten und dem zweiten Advent gab es einen Wasserrohrbruch, der das äußere Areal zwischen Innerem Burghof, Schweizerhof, Michaelerplatz und Teilen des Heldenplatzes überschwemmte. Bestimmt hat das Staatsoberhaupt das gemeint. Auf meiner Heimfahrt übergibt sich in der Bim (Straßenbahn) eine Dame vor mir. Ich denke sofort an den Bio-Leberkäse. Dann an Shane MacGowan. Und an „Fairytale of New York“. Darin singt er: „I turned my face away. And dreamed about you.“