© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/23 - 01/24 / 22. Dezember 2023

Jetzt ist sie weg
CDU: In ihrem neuen Grundsatzprogramm will die Partei die Ära Merkel hinter sich lassen – mit einigen Ausnahmen
Axel Berends

Kaum hatte die CDU den Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms vorgestellt, hagelte es Kritik (JF 51/23). Der größte Teil davon entzündete sich an den darin enthaltenen Formulierungen „Die Scharia gehört nicht zu Deutschland“ und „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bezeichnete das als „rhetorische Ausgrenzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe“. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime (ZMD), warf der CDU vor, damit „bei der AfD zu spicken“. Forderungen nach einer verpflichtenden kapitalgestützten Altersvorsorge sowie die simple Feststellung, daß „wer gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, mehr haben muß als jemand, der dies nicht getan hat“, riefen sofort Kritik von links hervor. So sprach der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, von einem „Angriff auf die gesetzliche Rentenversicherung und das Bürgergeld“.

Tatsächlich finden sich in dem 70seitigen Papier mit dem Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“ eine ganze Reihe von Forderungen, die auch als Rückbesinnung auf konservative Positionen verstanden werden könnten. So etwa die nach mehr Polizei oder nach sicherer Energieversorgung auch durch Atomkraft. Im bisherigen CDU-Programm von 2007 ist das noch eher allgemein formuliert: „Angesichts der Abhängigkeit Deutschlands vom Import knapper und teurer Energierohstoffe ist eine Energieversorgung, die sicher, umweltfreundlich und wirtschaftlich bereitgestellt wird, eine politische Frage von überragender Bedeutung.“ 

Das Wort „Nation“ taucht seltener als zuvor auf

Jetzt ist das Programm dazu ungleich präziser: „Wir wollen die Erneuerbaren Energien deutlich ausbauen. Sie allein werden für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung nicht ausreichen. Daher wird unser Land weiterhin verschiedene Technologien brauchen, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Statt Kohle wollen wir in der nächsten Dekade mit Gaskraftwerken die bisher fehlende Möglichkeit der langfristigen Speicherung der Erneuerbaren Energien und die erforderlichen Grundlasten sichern. Deutschland kann zur Zeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten.“

Ähnlich verhält es sich bei der Asylpolitik, die 2007 eher kurz umschrieben wurde: „Die wirksame Bekämpfung der illegalen Migration, die schrittweise Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik und ein verstärkter europäischer Erfahrungsaustausch zu Fragen der Integration sind weitere Aufgaben, denen wir uns auf der europäischen Ebene stellen werden.“ Im neuen Entwurf aber wird dem europäischen Asylrecht vorgeworfen, nicht „zwischen Schutzbedürftigen und Nicht-Schutzbedürftigen zu unterscheiden“ sowie „in der Praxis inhuman“ zu sein, da sich nur Junge und Starke auf den Weg nach Europa machen könnten. Die Kritik geht einher mit einer Forderung nach einem „grundlegenden Wandel“ des Asylrechts, der einen „Stopp der unkontrollierten Migration und eine Begrenzung der humanitären Migration auf ein Maß, das die Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordert und zugleich unserer humanitären Verantwortung gerecht wird“, bewirken soll. 

So wird das Grundrecht auf Asyl zwar nicht angetastet, aber Forderungen nach Verbringung von Antragstellern in sichere Drittstaaten sowie einem „Kontingent schutzbedürftiger Menschen“, das auf freiwillig daran teilnehmende EU-Staaten verteilt werden soll, würden faktisch eine Obergrenze für Zuzug bedeuten. Der Verweis darauf, daß weder die Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention noch die der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte oder Grundfreiheiten das Recht beinhalten, „sich das Land des Schutzes frei auszusuchen oder einen Schutzanspruch aufgrund einer wirtschaftlichen Schwäche des Herkunftslandes gewähren“, ist eine deutliche Absage an Wirtschaftsflüchtlinge. 

Auch die Forderung nach einem Genderverbot in Behörden und Schulen, die Ablehnung der Identitätspolitik sowie die Feststellung, daß Geschlecht eine „biologische Tatsache“ ist, dürften die Zustimmung konservativer Kreise finden. Gleiches gilt für die Betonung der Leitkultur, die 2007 nur zaghafte Erwähnung fand: „Die gesellschaftliche Integration von Zuwanderern auf der Basis der Leitkultur in Deutschland ist ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Sicherheit.“ Im neuen Entwurf hingegen wird „Mut zur Leitkultur“ gefordert und diese auch präzise definiert: „Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen. Zu unserer Leitkultur gehören die Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen und die daraus folgenden Grund- und Menschenrechte, unser Rechtsstaat, Respekt und Toleranz, das Bewußtsein von Heimat und Zugehörigkeit sowie die Anerkennung des Existenzrechts Israels. Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.“

Der Begriff des Patriotismus wird im neuen Entwurf zwar leicht positiver, aber dennoch ähnlich knapp abgehandelt wie 2007. „Ohne die gemeinsame Wertschätzung unseres freiheitlichen Gemeinwesens, ohne Patriotismus, ohne die Bereitschaft, in Heimat und Nation Pflichten zu erfüllen, Verantwortung zu übernehmen und Solidarität zu üben, kann ein Staat nicht gedeihen“, hieß es dazu im noch geltenden Programm. Künftig soll es heißen: „Wir stehen für einen weltoffenen Patriotismus, der zum Mitmachen einlädt statt ausgrenzt.“ Geändert hat sich hingegen die Definition der Ehe: Wurde sie im letzten CDU-Programm noch als „unser Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau“ bezeichnet, so ist die Ehe im neuen Entwurf nur noch als „Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen“ umschrieben. 

Eine Untersuchung beider Programme auf die Häufigkeit verwendeter Begriffe brachte hervor, daß sich die CDU sprachlich eher dem linksgrünen Vokabular genähert hat: Der Begriff „Volk“, der 2007 noch 47mal verwendet wurde, taucht im neuen Entwurf nur 28mal auf. Noch deutlicher wird diese Tendenz beim Begriff „Nation“, der 2007 zwölfmal auftaucht, nun aber nur noch einmal verwendet wird. Immerhin zweimal wird auch „Nationalstaat“ mit positivem Bezug erwähnt. Die Vokabel „Nachhaltigkeit“ hingegen, die zuletzt nur zweimal verwendet wurde, ist jetzt gleich zwölfmal zu lesen. Damit sind bei Inhalt und Sprache des neuen Programms eher gegenläufige Tendenzen festzustellen.

Profilierte CDU-Konservative sehen das neue Programm indes als Schritt in die richtige Richtung. Der Entwurf sei „sehr gut gelungen“, sagte etwa die ehemalige Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel, die sich im Berliner Kreis, einem bundesweiten Zusammenschluß konservativer CDU-Funktionsträger, engagiert, auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT. „Viele Punkte darin wurden vom Berliner Kreis schon lange gefordert und bestätigen unsere Arbeit.“ Die Reaktionen von Aiman Mazyek und anderen Islamverbänden wies sie zurück: „Die Kritik derer, die für die derzeit schlimme Entwicklung in unserem Land trotz vieler Hinweise die Augen verschlossen haben und dadurch eher mitverantwortlich sind, war zu erwarten. Das zeigt auch, daß diese Verbandsvertreter immer noch ein Problem mit unserem Grundgesetz und unserer Leitkultur haben. Scharia und Grundgesetz gehen in Deutschland nicht zusammen! Deshalb ist es sehr erfreulich, daß in dem Programmentwurf deutlich ausformuliert wurde, daß die Scharia nicht zu Deutschland gehört.“

Aber auch von neutraler Seite wurde die Kritik des ZMD-Vorsitzenden zurückgewiesen: So hält es die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch für falsch, der CDU vorzuwerfen, sie kopiere mit diesem Papier AfD-Positionen, da die konservativen Elemente darin „älter als die AfD“ und lediglich in der Amtszeit von Angela Merkel in Vergessenheit geraten seien. Münch sieht in dem Entwurf konservative Positionen ohne Rassismus und ohne Antisemitismus. Mit den Forderungen nach härterer Flüchtlingspolitik, den Warnungen vor Islamismus oder ihrer Haltung zur Gendersprache könne die CDU der AfD sehr wohl Wähler streitig machen, glaubt Münch. Auch Hans-Jürgen Irmer, der lange für die CDU im hessischen Landtag und dann bis 2021 im Bundestag saß, zeigte sich gegenüber der JF angetan: „Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat, Leitkultur statt Multikulti, Innere Sicherheit und Orientierung statt Clankriminalität und Zerfall der Gesellschaft, Asylwende und sichere Grenzen, statt ‘Wir schaffen das’, Nein zum politischen Islam, statt ‘Der Islam gehört zu Deutschland’.“ Dieses neue Programm sei, wenn es beschlossen und umgesetzt werde, „ein gelungener Entwurf für die Zukunft Deutschlands. Eine klare Abkehr vom Merkel-Kurs, und das ist gut so.“