Die Ampel-Koalition schleppt sich inhaltlich zerstritten, im Umgang zunehmend gereizt und von katastrophalen Wahlumfragen alarmiert, ins neue Jahr. Der mühsam gefundene Haushaltskompromiß wird zerredet.
„Die politische Einigung zum Bundeshaushalt 2024 steht“, heißt es vollmundig in den „Hintergrundinformationen“ der FDP-Fraktionsführung. Doch davon kann keine Rede sein. Drei Tage später kassierte die Fraktion die von den Koalitionsspitzen beschlossene Streichung der Agrardiesel-Subvention und der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte. Und auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) wollte von verabredeten Etatkürzungen nichts mehr wissen; assistiert von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). „Ich bin für Alternativen offen“, betonte Lindner angesichts der Großdemonstration der Bauern in Berlin. Ein fertiges Sparkonzept sieht anders aus.
Unerwartet aufmüpfig zeigte sich auch die Kanzler-Fraktion. Hatten die Genossen Olaf Scholz noch vor zwei Wochen auf ihrem Parteitag wie einen Wahlsieger gefeiert, waren plötzlich kritische Töne zu hören. Das abrupte Ende der E-Auto-Förderung bereits am vergangenen Sonntag sei „äußerst unglücklich“, kritisierten drei SPD-Fraktionsvizes Wirtschaftsminister Robert Habeck. Er müsse verläßlichere, lebensnahe Übergangsfristen organisieren. Das Auslaufen der Förderung war erst einen Tag zuvor bekanntgegeben worden. Eine Vollbremsung. Verbände sprachen von einem „Vertrauensbruch“. Der grüne Vizekanzler warnte zu Wochenbeginn davor, den Kompromiß aufzukündigen. „Wenn jetzt einzelne Streben herausgezogen werden, ohne neue einzusetzen, fällt die Gesamtlösung in sich zusammen. Das heißt, wer an einer Stelle Änderungen wünscht, muß eine abgestimmte und für alle Seiten tragfähige Gegenfinanzierung anbieten“. Rückendeckung erhielt er vom Finanzminister. „Die Mittel sind aufgebraucht“. Im Haushalt 2024 geht es um Einsparungen in Höhe von 17 Milliarden Euro.
Schon bald nach dem Pressestatement von Scholz, Habeck und Lindner am frühen Mittwoch der vergangenen Woche waren Zweifel an der „Einigung“ aufgekommen. „Das war harte, aber konstruktive Arbeit. Am Ende steht ein guter, in wahrem Sinne demokratischer Kompromiß“, hatte der Regierungschef im Bundestag geschwärmt.
Danach spart die Koalition durch Steuer- und Abgabenerhöhungen. Die CO2-Abgabe steigt ab Januar auf 45 statt 40 Euro pro Tonne, Tanken und Heizen werden teurer. Mit der Einführung einer Kerosinsteuer auf innerdeutsche Flüge dürften die Flugpreise aber auch die Beförderung von Paketen und Briefen teurer werden. Eine Plastiksteuer soll eingeführt werden, bezahlt von den Herstellern. Am Ende dürften die Verbraucher die Zeche zahlen, wenn sie Produkte in Plastikverpackung kaufen.
Die FDP gerät zusätzlich unter Druck
Bei der geplanten Erhöhung des Bürgergeldes um etwa 12 Prozent zum Jahreswechsel soll es bleiben. Darauf hatte die SPD großen Wert gelegt. Eingespart wird bei Flüchtlingen aus der Ukraine, die schneller arbeiten sollen mit der Folge, daß sie dann kein Bürgergeld mehr bekommen. Wegfallen wird der Bürgergeld-Bonus. Die 75 Euro monatlich gab es für die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme von mindestens acht Wochen.
Und die Schuldenbremse, die FDP-Obsession, wie viele bei den rotgrünen Koalitionspartnern meinen? Vorerst soll sie 2024 wieder eingehalten werden, vorausgesetzt, die militärische Situation in der Ukraine verschlechtere sich nicht deutlich. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz spricht von „Trickserei“, forderte Scholz auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.
Dafür gebe es keinen Anlaß, konterte Lindner. Immerhin, denn die FDP ist zusätzlich unter Druck geraten wegen einer im Ergebnis nicht rechtsverbindlichen Mitgliederbefragung über den Verbleib in der Koalition. Parteivize Wolfgang Kubicki riet zur Ablehnung: „Allen sollte klar sein, daß wir in einen kommenden Wahlkampf kaum mit der Parole gehen können: Wir sind gescheitert, wählen Sie uns trotzdem“. Die FDP kratzt bei Wahlumfragen an der Fünf-Prozent-Hürde, so gerade das Meinungsforschungsinstitut Insa. Besonders potentielle FDP-Wähler sind unzufrieden. Die AfD kommt erstmals auf 23 Prozent. Scholz steht an einem Tiefpunkt seiner Kanzlerschaft.
Da verwundert es nicht, daß sich das Klima unter den Koalitionären eingetrübt hat. Auch durch drei Wochen Endlos-Haushaltsverhandlungen im Kanzleramt, teils bis in die Morgenstunden, die Spuren hinterlassen haben. Wobei sich die drei Ampelmänner Scholz, Habeck und Lindner nicht öffentlich kritisieren.
In der SPD ist es meist Fraktionschef Rolf Mützenich, der im Ton verbindlich, aber in der Sache deutlich seinen Unmut über die Koalitionspartner erkennen läßt. „Ich glaube, daß die FDP sich sehr stark von einer verantwortungslosen Opposition hat treiben lassen“, kommentierte er deren Festhalten an der Schuldenbremse. „Man kann nicht immer nein sagen“, rüffelt er im Herbst die Haltung der Liberalen beim Industriestrompreis. „Das bedauere ich, das nervt mich“, hieß es beim Heizungsgesetz.
Aktuell hakt es bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, das noch in diesem Jahr vom Bundestag verabschiedet werden sollte. Eigentlich. Die FDP besteht auf Änderungen, der SPD-Fraktionschef bedauerte („Ich hätte mir gewünscht …“). Beim Cannabis-Gesetz, das Anbau und Verkauf der Droge regeln soll, verhält es sich umgekehrt. Die SPD hat noch gesundheitspolitische Bedenken. Wiedervorlage 2024.
Liegengeblieben ist auch das Gesetz über die Schaffung eines Polizeibeauftragten. Er soll Fehlverhalten und strukturelle Mängel in der Polizei untersuchen. Ein Herzensanliegen der Grünen, nach Ansicht der Opposition überflüssig. Ein Streitthema, doch jetzt ist erst einmal Weihnachtsruhe angesagt.