© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/23 - 01/24 / 22. Dezember 2023

Urteil zur Bundestagswahl in Berlin
So leidet die Legitimität
Ulrich Vosgerau

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlwiederholung in Berlin ist ein Fehlurteil. Denn es wäre wenigstens damit zu rechnen gewesen, daß Karlsruhe sich die Forderung des Bundeswahlleiters, die Bundestagswahl in 1.200 von 2.256 Berliner Wahlbezirken zu wiederholen, zu eigen machen würde. 

Auf Landesebene waren die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen aufgrund einer aufsehenerregenden Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofes bereits im Februar vollständig wiederholt worden, mit dem Ergebnis eines Regierungswechsels. Karlsruhe ordnet jetzt Neuwahlen in 455 Bezirken an. 

Eine nennenswerter Effekt auf die Zusammensetzung des Bundestages ist damit ausgeschlossen. Die Entscheidung beruht auf einer Vergötzung des Dogmas vom „geringstmöglichen Eingriff“ in das einmal gefundene Wahlergebnis. Dieses ist eigentlich sinnvoll, wird aber vom Gericht so angewendet, daß überall, wo Wahlfehler und Mandatsrelevanz nicht einzelfallbezogen nachgewiesen werden können, eine Nachwahl ausgeschlossen bleibt. Daß so angesichts der beispiellosen und systemischen Fehler bereits in der Wahlvorbereitung keine Legitimität gestiftet werden kann, hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof ganz richtig gesehen.






Dr. habil. Ulrich Vosgerau lehrte Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an mehreren Universitäten.