© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Frisch gepreßt

Kulturstaat Grunewald. Nach einer geschichtsphilosophischen Meistererzählung von SED-Ideologen wie Alexander Abusch („Der Irrweg einer Nation“, 1946) habe das deutsche Bürgertum auf sein Scheitern von 1848 mit dem Rückzug in die „unpolitischen“ Regionen von Wirtschaft und Kultur reagiert. Statt die Revolution zu vollenden, habe es die Staatsmacht bis 1918 in den Händen von Krone und Adel gelassen. Mit der Folge, daß das über Jahrzehnte dem Politischen entwöhnte Selbstverständnis bürgerlicher Führungsschichten die Machtergreifung Adolf Hitlers begünstigen konnte. Cornelius Bormanns im besten Sinne populärwissenschaftliche, gründliche Literatur- und Quellenkenntnis mit eingängiger Darstellung verbindende Kollektivbiographie über die „Grunewald-Gefährten“ formuliert einen gewichtigen Einspruch gegen diese grobkörnige These. Denn sie trifft nicht auf die – allerdings in der krassen Minderheit befindlichen – Teile des deutschen Bildungsbürgertums zu, aus deren Reihen der härteste Widerstand gegen das NS-Regime hervorging. Bormann schildert detailliert, unter welchen idealen Bedingungen in dem von wilhelminischen Mandarinen wie Max Planck, Hans Delbrück und Karl Bonhoeffer bewohnten „Kulturstaat“ des Berliner Villenvororts Grunewald eine Gegenelite von humanistisch gebildeten, im christlichen Glauben verwurzelten und in der „Ehrfurcht vor der Vergangenheit“ erzogenen Menschen heranwuchs, die schließlich bereit war, sich für ein „vernünftigeres demokratisches Deutschland“ zu opfern. (wm)

Cornelius Bormann: Die Grunewald-Gefährten. Hans von Dohnanyi, Klaus und Dietrich Boenhoeffer, Justus Delbrück, Gerhard Leibholz. Freunde im Widerstand gegen Hitler. Osburg Verlag, Hamburg 2023, gebunden, 350 Seiten, Abbildungen, 26 Euro





Spiegelbilder. Polen und Deutschland sind einander nah – doch oft endet die Nähe auf der Karte. Vor allem außen- und geschichtspolitische Sichtweisen erschweren eine dauerhafte Verständigung. Dies zeigt die Berichterstattung in den jeweiligen Ländern, die nun zum Gegenstand einer kommunikationswissenschaftlichen Analyse wurde. Unterstützt vom Deutschen Polen-Institut untersuchte ein binationales Forschungsteam zahlreiche Zitate aus den wichtigsten Zeitungen auf beiden Seiten von Oder und Neiße. Unter die Lupe gerieten unter anderem die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen, die Europapolitik, Kontraste in der Rußlandpolitik innerhalb der Nato sowie heikle historische Themen wie der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung. Auch die Asymmetrie zwischen den beiden Ländern kommt dabei zur Sprache: Während Deutschland den östlichen Nachbar als ein Land unter vielen sehe, werde das politische Berlin in Polen als wichtiger Bezugspunkt betrachtet. (kuk)

Justyna Arendarska, Agnieszka Łada-Konefał, Bastian Sendhardt: Nachbarschaft im Rahmen. Wie Deutsche und Polen einander medial betrachten. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2023, broschiert, 363 Seiten, 36 Euro