© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Im Banne von Steuerwutbürgern
Die „Boston Tea Party“ leitete vor 250 Jahren den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ein
Ludwig Witzani

Im Jahre 1763 befand sich das britische Empire auf Weg zum Höhepunkt seiner Macht. Die Franzosen waren nach dem Siebenjährigen Krieg aus Kanada hinausgeworfen worden, eine Kette britischer Kolonien von der Mündung des St.-Lorenz-Stroms bis nach Antigua in der Karibik beherrschte den Osten Amerikas.

Aber das Empire war hoch verschuldet und versuchte, durch die Erhebung neuer Steuern und Gebühren die amerikanischen Kolonien an der Beseitigung des Defizits zu beteiligen. Bekanntermaßen begann dieser Prozeß mit dem Erlaß zur  Zucker- und Stempelsteuer und endete geradewegs im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, weil die Kolonien nicht bereit waren, Steuern ohne politische Mitbestimmung zu bezahlen („No taxation without representation“). Dabei war dieser Prozeß der Loslösung der Neuengland-Kolonien vom Mutterland alles andere als zwangsläufig gewesen. Erst die sogenannte Boston Tee Party am 16. Dezember 1773, vor genau 250 Jahren, gab der Entwicklung ihre endgültige sezessionistische Dynamik. Dabei verband sich die schon seit Jahren akute amerikanisch-britische Steuerkontroverse mit außeramerikanischen Problemen und persönlichen Animositäten zu einer brisanten Mischung, die  geradewegs in den Krieg führte.  

Konkret sah sich die britische Regierung 1772 vor zwei Probleme gestellt: ihre Besteuerungskompetenz in den Kolonien zu bewahren, ohne die Kolonisten allzu sehr zu reizen, und die schwer angeschlagene Ostindien-Kompagnie vor dem Bankrott zu bewahren. Denn das einst so profitable Teegeschäft der Ostindien-Kompagnie funktionierte nicht mehr, seitdem Engländer und Amerikaner den billigeren holländischen Schmugglertee tranken. Einen Bankrott der Ostindien-Kompagnie mußte die britische Regierung aber auf alle Fälle verhindern, weil die Ostindien-Kompagnie mit  ihren eigenen Ressourcen einen Großteil des britischen Militärs in Indien finanzierte.   

In dieser Situation entwickelte der britische Premierminister Frederick North einen auf den ersten Blick famosen Plan. Die Regierung verzichtete auf den größten Teil der Einfuhrsteuer, hob den Stapel-zwang für Tee in London auf und erlaubte der Ostindien-Kompagnie den direkten Verkauf des Tees in den Kolonien. Damit wurde der englische Tee auf einen Schlag billiger als selbst der holländische Schmugglertee. Allerdings sollte eine unwesentliche und geringe Teesteuer den Einnahmeausfall des Staates abfedern. Premierminister North rechnete fest damit, daß die Kolonisten den verbilligten Tee trinken und die kleine Zusatzsteuer in Kauf nehmen würden, womit gleichsam nebenbei die Besteuerungshoheit Londons durch einen Präzedenzfall anerkannt worden wäre.  

Doch es sollte anders kommen. Eine unter dem Vorsitz des Bostoner Kaufmanns John Hancock, des späteren Erstunterzeichners der Unabhängigkeitserklärung,  zusammengerufene Versammlung der sogenannten „Sons of Liberty“ stellte den Kauf des verbilligten englischen Tees als „Verrat an Amerika“ dar. Unter der Hand waren aber auch private Interessen im Spiel. Hancock selbst stand im Verdacht, sich am Schmugglergeschäft zu bereichern, außerdem liefen die ausgebooteten Zwischenhändler Sturm gegen die neue Regelung. In dieser aufgeheizten Situation nahmen im Herbst 1773 sieben Teeschiffe Kurs auf Amerika, unter ihnen die „Dartmouth“, die den Hafen von Boston ansteuerte.  

Heftige Proteste der Kolonisten in New York, Philadelphia und Charleston sorgten dafür, daß die Schiffe nicht entladen wurden und mit ihrem Tee unverzollt und unverkauft zurückgeschickt wurden. Wie sich zeigte, scheuten die britischen Behörden vor Ort noch immer die direkte Konfrontation und hofften auf einen Kompromiß, nicht zuletzt, weil auch die politischen Führer der amerikanischen Kolonien um John Adams mehrheitlich noch als Gemäßigte galten. 

England reagierte auf die Bostoner Provokation mit aller Härte

Warum lief es in Boston anders? Weil der amtierende Gouverneur Thomas Hutchinson die Rück-kehr der „Dartmouth“ untersagte, einerseits weil er dem britischen Recht Geltung verschaffen wollte, möglicherweise aber auch weil zwei seiner Söhne als Teehändler involviert waren. Außerdem war er auf die „Sons of Liberty“ schlecht zu sprechen, seitdem einige von ihnen vor Jahren sein Haus verwüstet hatten. Gouverneur Hutchinson forderte die Entrichtung der Teesteuer, ganz egal ob der Tee entladen würde oder nicht. Für die Zahlung dieser Teesteuer stellte er dem Kapitän der „Dartmouth“ Ende November 1773 eine Frist von 20 Tagen. Die Lage spitzte sich zu, als während der Karenzzeit zwei weitere Teeschiffe, die „Eleanor“ und die „Beaver“, eintrafen und die Zwanzigtagefrist langsam ablief.

Der Kapitän der „Dartmouth“ unternahm einen letzten Bittgang zum Gouverneur und bat um die Erlaubnis zum Auslaufen mitsamt dem unversteuerten Tee. Hutchinson selbst berichtet in seiner später verfaßten „History of Massachusetts“, daß er dieser Bitte nicht entsprechen konnte, aber dem Kapitän den Schutz der Marine angeboten habe. Diesen Schutz lehnte der Kapitän ab, „um das Volk nicht zu reizen“. 

Als sich am 16. Dezember 1773 die Bostoner im Old Meeting House in der Nähe des Hafens versammelten und von der ablehnenden Haltung des Gouverneurs erfuhren, spitzte sich die Lage noch weiter zu. Samuel Adams, der Führer der „Sons of Liberty“, hielt eine Rede, nach der sich die Menge verstreute. Hutchinson vermutete in seiner „History of Massachusetts“, daß Adams in seiner Rede mit einer vorher vereinbarten Redewendung das Signal zum Losschlagen gegeben habe. Auf jeden Fall er-schienen am späten Nachmittag des gleichen Tages plötzlich Angehörige der „Sons of Liberty“ als Mohawk-Indianer verkleidet an Griffin’s Wharf, um alle drei Teeschiffe zu stürmen und sämtliche 342 Teeballen in das Hafenbecken zu werfen. Die Vernichtung des Tees vollzog sich gewaltfrei und vor den Augen Tausender Zuschauer. Der Schaden belief sich auf etwa 10.000 Pfund Sterling, was dem heutigen Wert von etwa 1,8 Millionen Dollar entspricht.  

Damit war eine rote Linie überschritten. In seinen Tagebüchern notierte John Adams, der Cousin von Samuel Adams und spätere US-Präsident, am 17. Dezember 1773: „Die Vernichtung des Tees ist eine kühne, furchtlose und kompromißlose Tat und wird notwendigerweise so wichtige und dau-erhafte Konsequenzen hervorrufen, daß ich sie als epochales Ereignis betrachten muß.“

Mit dieser Einschätzung lag John Adams goldrichtig. Denn nun war es mit der Geduld der britischen Regierung zu Ende. Der Hafen von Boston wurde sofort geschlossen, die kommunale Selbstverwaltung aufgehoben und ein Erlaß zur zwangsweisen Einquartierung britischer Soldaten in Privathäusern verkündet. Die Zeichen standen auf Sturm, und erschrocken erkannten die Kolonisten, daß die Engländer diesmal reinen Tisch machen wollten. Dementsprechend turbulent ging es auf dem ersten Kontinentalkongreß in Philadelphia zu, der Anfang 1774 zusammentrat. Gemäßigte Delegierte der Südstaaten machten den radikalen Sons of Liberty aus Boston heftige Vorwürfe und brachten einen Brief an König Georg III. auf den Weg, in dem sie Entschädigung für den vernichteten Tee anboten. Doch dazu kam es nicht mehr. Das Tischtuch war zerschnitten, der Krieg der 13 abtrünnigen Kolonien begann am 19. April 1775.

Gouveneur Hutchinson sollte im Laufe des Krieges seinen gesamten Besitz und sein Haus verlieren. Er mußte wie viele andere Amerika verlassen und verbrachte seine letzten Lebensjahr in England mit der Arbeit an seiner „History of Massachusetts“.