© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Vorwurf der Desinformation
Nach massiver Kritik: Der NDR löscht eine Doku über „Deutsche Schuld“ in Namibia aus der Mediathek
Christian Schreiber

Nach zahlreichen Protesten hat der NDR die umstrittene Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ nun doch aus seiner Mediathek entfernt. Wie die Redaktion mitteilte, hätten sich unter anderem minderjährige Protagonisten „nicht adäquat dargestellt“ gesehen. Bei den Hauptkritikpunkten also kein Einsehen: Die Prüfung habe vielmehr keine formalen Gründe ergeben, die Doku nicht länger im NDR Programm anzubieten. Vorgeschoben werden „schutzbedürftige Protagonistinnen und Protagonisten“, die „sich mißverstanden und in einen falschen Kontext gestellt fühlen“. 

Zur Vorgeschichte: In dem Beitrag spricht die dunkelhäutige Moderatorin Aminata Belli mit Namibiern über Ungleichheit und Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit („Deutsch-Südwestafrika“, 1884–1915). Doch die Resonanz auf den Film war verheerend, von Desinformation war die Rede. Kritiker beklagten unter anderem den erweckten falschen Eindruck, deutschstämmige Namibier genössen auf Kosten der schwarzen Mehrheitsbevölkerung Reichtum aus Kolonialzeiten und verweigerten die historische Aufarbeitung. Ein sehr wohl vorhandenes zentrales Mahnmal für getötete Herereo und Nama wird zum Beispiel einfach nicht erwähnt.

Sogar ein ehemaliger Botschafter schaltete sich in die Debatte ein. „Wir fragen uns allerdings, warum Frau Belli mit keinem Wort die unzähligen Initiativen Deutscher wie auch Namibier deutscher Sprache erwähnt, die sich seit Jahren dafür einsetzen, gegenseitiges Verständnis zu wecken, Brücken zu bauen, sich dafür in unzähligen Aktivitäten treffen, viel Geld zur Verfügung stellen und zusammenarbeiten, um die Basis zu schaffen für einen versöhnlichen Weg in die Zukunft“, heißt es in einem Brief von Christian Schlaga, der von 2015 bis 2019 die deutsche Botschaft in Namibia leitete. 

Sein Protestschreiben wurde von mehr als 150 weiteren hochrangigen Persönlichkeiten unterzeichnet, die sich mit den Begebenheiten in Namibia auskennen. Kritisiert wird unter anderem, daß Belli in dem Beitrag behauptet, kein Vertreter der deutschsprachigen evangelischen Kirche sei zu einem Gespräch für die Dokumentation bereit gewesen. „Richtig ist: der Leiter der Kirche, Bischof Burgert Brand, hatte in einem Gespräch mit der Regisseurin Frau Palmigiano seine Mitwirkung in Aussicht gestellt. Das NDR-Team ist darauf aber nicht eingegangen“, schreibt Schlaga.

Neben diesen offenbar tendenziösen „Einschlägen“ wimmelt der Film vor Fehlern. Beim Gang durch den Windhuker Stadtteil Katutura bezeichnet Belli dieses beispielsweise als sichtbares Zeichen von Apartheid. Zweifelsohne sei Katutura eine Folge der südafrikanischen Apartheid, erwidert Schlaga, aber fügt hinzu: „Diese Siedlung ist allerdings erst 1959 während der Herrschaft Südafrikas über Namibia entstanden. Da die deutsche Kolonialzeit aber bereits 1915 faktisch beendet war, trägt Deutschland keine Verantwortung für Katutura. Dennoch wird Südafrikas Apartheid in einem Atemzug mit deutschem Kolonialismus verbunden.“

Laut Welt bemängelte selbst ein NDR-Rundfunkratsmitglied, man dürfe „nicht so flapsig“ an der Oberfläche bleiben. Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär forderte gegenüber der Bild eine Aufarbeitung des „Medienskandals“.