Verhärmte, hohlwangige Gesichter. Menschen gekennzeichnet von grenzenloser Hoffnungslosigkeit, von Nichtbegreifen des Erlittenen, andere zeigen Trotz und Widerstandsgeist. Der an der Breslauer Akademie ausgebildete Künstler Bernhard Hönig hat in seinen Zeichnungen und Gemälden seinen Kameraden im sowjetischen Kriegsgefangenenlager im ostsächsischen Hirschfelde bei Zittau, aber auch der aus den Ostgebieten vor der Roten Armee geflüchteten beziehungsweise von den Polen über die Lausitzer Neiße vertriebenen deutschen Zivilbevölkerung ein Denkmal gesetzt. Sie künden noch heutigen Generationen vom unvorstellbaren Leid jener, die doch darauf gehofft hatten, daß mit der deutschen Kapitulation und dem Ende des Krieges die Menschlichkeit gesiegt hätte, und schon in den ersten Friedensmonaten des Jahres 1945 eines Schlechteren belehrt wurden.
Es ist ein Verdienst des Schlesischen Museums zu Görlitz, daß einige Werke Hönigs – die Menge seiner im Nachlaß erhaltenen Bilder könnte eine ganze Gedenkstätte füllen, so Museumsmitarbeiterin und Kuratorin Johanna Brade – der Vergessenheit entrissen wurden und derzeit zusammen mit zahlreichen anderen Werken anderer Künstler in der Sonderausstellung „Kunst und Krieg. Zwischen Euphorie und Anklage“ bis zum 30. Juni 2024 zu sehen sind. Diese knüpft an die Sonderschau „Kunst zur Kriegszeit 1914 bis 1918“ an, die 2015 im Museum präsentiert wurde.
Gezeigt werden Bilder aus dem 16. bis 21. Jahrhundert
Interessanterweise trägt die aktuelle Schau mit „Kunst und Krieg“ exakt denselben Titel wie eine im Februar in Winterthur in der Schweiz zu Ende gegangene, wobei die dortigen Kuratoren den Bogen durch die Jahrhunderte – „von Goya bis Richter“ – weiter spannen und mit „ausgewählten Meisterwerken, die zu Meilensteinen der künstlerischen Beschäftigung mit dem Kriege geworden sind“, aufwarten konnten (darunter Kunstwerke von Albrecht Dürer, Francisco de Goya, Käthe Kollwitz bis hin zu Gerhard Richter), als ihre sächsisch-schlesischen Kollegen in Görlitz. Diese aber, und das ist um so bemerkenswerter, da das Schlesische Museum erst nach der deutschen Wiedervereinigung auf Anregung des Bundes der Vertriebenen entstanden ist, bestreiten die komplette Schau mit Exponaten aus dem eigenen Bestand und überdies mit Künstlern und Objekten, die einen Bezug zur Region Schlesien haben.
Zu bewundern sind Bilder aus dem 16. bis 21. Jahrhundert mit verschiedenen Perspektiven auf das Thema „Kunst und Krieg“. Porträts von Herrschern in prächtigen Rüstungen sind ebenso zu sehen wie Darstellungen der von ihnen geschlagenen Schlachten. Schlesien war in seiner fast tausend Jahre langen deutschen Geschichte vielen Kriegen ausgesetzt. Der Mongolensturm auf Europa endete erst bei Liegnitz mit der Schlacht bei Wahlstatt 1241. Habsburger und Hohenzollern rangen um den reichen Landstrich. Der Krieg mit allen seinen Folgen sei für diese Region einfach prägend gewesen, betont die Museumsleiterin Agnieszka Gąsior. Für die Polin geht es dabei speziell um die Frage, was Kunst in den Krieg hineintragen könne, „indem sie an Propaganda beteiligt ist, und unsere visuelle Vorstellung von Krieg sehr stark prägt“.
Der Breslauer Max Wislicenus (1861–1959), beispielsweise war als Lehrer an der Breslauer Kunstakademie und offizieller Kriegsmaler der preußischen Armee anfangs vom Ersten Weltkrieg begeistert. Nach seinem Entwurf webte Wanda Bibrowicz im Riesengebirge einen Teppich, der in expressionistischer Bildsprache und leuchtenden Rot-, Orange-, Blau- und Grüntönen den Kampf des heiligen Georgs mit dem Drachen darstellt.
Daß das Museum diesen Wandteppich seinen Besuchern präsentieren kann, gehört zu den spannenden Geschichten der Nachkriegszeit, denn das Kunstwerk galt lange als verschollen und zerstört. Erst als in einer anderen Ausstellung eine Replik gezeigt wurde, meldete sich eine Familie aus Schleswig-Holstein und informierte darüber, daß das Original im Keller der Großmutter hänge. Der Teppich, der sich einst in der Villa des Kommerzienrates Schneider in Zittau befand, war noch vor Kriegsende mit anderen Wertgegenständen in ein nahes Forsthaus ausgelagert worden, um es vor der plündernden russischen und polnischen Soldateska zu schützen, und nie von den Eigentümern abgeholt worden. Als die Försterfamilie 1954 aus der DDR nach Mölln bei Lübeck ausreiste, nahm sie den großformatigen Gobelin mit.
Mit einer besonderen Mischung aus Abscheu und Faszination würden Kunstschaffende den Kriegsereignissen bis heute in großer künstlerischer Vielfalt begegnen, so die Museumsleiterin. Ziel der Sonderschau sei es, die schwierige Rolle der Kunst in bezug auf den Krieg zu verdeutlichen und Sichtweisen von teilnahmsvoller Zeitzeugenschaft bis zu kritischer Distanz vorzustellen.
Reise entlang der Schlesischen Gebirgsbahn
Die Ausstellung lädt damit zur Diskussion über Erinnerungskultur und die Bedeutung von Bildern für Geschichte und Gegenwart ein. Das wurde vor allem auf der Jahrestagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Mitte November in Görlitz und Hirschberg deutlich, die sich der Frage widmete, vor welche Aufgaben der Krieg Künstler stellt und wie diese ihre eigenen Kriegserlebnisse verarbeiten, von Fürsprache, Anklage bis hin zum Schweigen, sagt Gąsior: „Also zum Beispiel nach traumatischen Erlebnissen, die manchmal über Jahrzehnte dauern und bei denen erst viel später eine Reaktion erfolgt.“
Parallel zu „Kunst und Krieg“ zeigt das Museum eine zweite Sonderausstellung bis zum 14. April unter dem Titel „Niederschlesien im Aufbruch. Gewerbe und Industrie entlang der Schlesischen Gebirgsbahn“. Diese befaßt sich mit der faszinierenden und heute weitgehend vergessenen Industriegeschichte der Region, für die der Aufbau eines Eisenbahnnetzes der entscheidende Impuls war. Hat das Schlesische Museum in den vergangenen Jahren mittels Einzelausstellungen an herausragende Industriezweige und ihre Produkte erinnert (Porzellanland Schlesien, Silber von Lemor in Breslau, Waggonbau in Schlesien, Hirschberger Spitzen, Keramik Bunzlauer Art sowie die Bobertalbahn), stehen diesmal die charakteristischen Gewerbe- und Industrieerzeugnisse aus Orten entlang der 1867 eröffneten Schlesischen Gebirgsbahn im Mittelpunkt, also die Hauptstadt der Taschentuchproduktion Lauban – zwischen 1850 und 1945 stellten hier etwa 35 Fabriken rund 90 Prozent aller in Deutschland produzierten Taschentücher her; Langenöls – hier erfand Robert Ruschewey den Ausziehtisch, über Greiffenberg mit seiner Blaudruckfabrik und den Greiff-Werken für Berufs- und Arbeitskleidung und Hirschberg mit seiner Spitzenproduktion, bis in die Industriestadt Waldenburg und die sie umgebenden Porzellanfabriken.
Ist die Eisenbahnverbindung zwischen Dresden und Görlitz seit Kriegsende für die Deutsche Bahn vor allem eine Teststrecke, wie lange sich die Verbindung ins heutige Polen mit Dieselloks aufrechterhalten läßt – jenseits der Neiße wurde durch die polnische Staatsbahn längst wieder elektrifiziert –, so war die Schlesische Gebirgsbahn ab Ende des 19. Jahrhunderts eine der Innovations-teststrecken für den elektrischen Betrieb. Bereits 1911 wurde zwischen Niedersalzbrunn und dem böhmischen Halbstadt die erste Strecke in Schlesien elektrifiziert. Zwischen Berlin und Krummhübel oder Schreiberhau gab es Direktverbindungen für Erholungsuchende. Unwiderstehlich für Eisenbahnnostalgiker aus ganz Deutschland dürften auch die in der Ausstellung präsentierten zahlreichen Eisenbahnmodelle, Fotos und Dokumente dieser Strecke sein.
Die Ausstellung „Kunst und Krieg. Zwischen Euphorie und Anklage“ ist bis zum 30. Juni 2024 im Schlesischen Museum zu Görlitz, Brüderstraße 8, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Bis zum 14. April 2024 wird ebendort die Ausstellung „Niederschlesien im Aufbruch“ gezeigt.