© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Ackerbau-Revolutionäre
Nexat, ein niedersächsischer Landtechnik-Hersteller auf der Überholspur: Das weltweit einzige ganzheitliche Pflanzenproduktionssystem soll Herausforderungen der Zukunft in technischer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht beantworten
Christian Schreiber

Klemens Kalverkamp mag es gerne blumig. „Innovation ist die älteste Tradition der Evolution“, lautet sein Credo. Und seinen Antrieb formuliert er so: „Das Beste besser machen ist unser Anspruch.“ Dieses Wissen teilt er auch mit seinem Sohn Felix. Der gründete im Jahr 2011 das Ingenieurbüro Kalverkamp Innovation und trat damit schon in jungen Jahren in die Fußstapfen seines Vaters. Der war vielen in der Branche als Erfinder des Basisverfahrens des Rota-Disc-Maispflückers bei Geringhoff, als langjähriger Entwicklungschef bei Grimme sowie nicht zuletzt als Konstrukteur der Pelletierpresse Krone Premos bekannt. 

Man könnte ihn auch Forschungspionier der Landwirtschaft nennen. Unter dem Dach und gemeinsam mit der Firma des Junior begann man im Jahr 2013, über eine ganzheitliche Getreideproduktion nachzudenken, die zum einen ressourcenschonend und nachhaltig, zum anderen aber auch effizient und wirtschaftlich ist. 

2013 starten die Kalverkamps mit dem ganzheitlichen Anbausystem

„Uns war schnell klar, daß es nicht damit getan ist, den Traktor noch stärker oder den Mähdrescher noch größer zu machen“, erläutert der studierte Maschinenbauer Felix Kalverkamp den Ansatz. „Bei den vielen Gesprächen mit Betriebsleitern in der ganzen Welt ging es nie darum, daß wir den ersten 1.100-PS-Traktor bauen. Die Technik ist für alle landwirtschaftlichen Unternehmer immer nur das Mittel zum Zweck auf dem Weg zu einem neuen Ackerbausystem.“ 

Die Erfolge können sich sehen lassen. Eine erste Duftmarke aus dem Hause Kalverkamp Innovation war die Mobile Strohpelletiermaschine, welche auf der Agritechnica 2015 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Es war der erste mobile Pellet-Vollernter, der ein handelsfähiges Endprodukt direkt in einem Arbeitsgang auf dem Feld erzeugen konnte. Und einen Volltreffer landete das noch junge Unternehmen dann vor gut einem Jahr. Ein elektrisch angetriebener Wechselgeräteträger, der mit eingehängten Modulen sämtliche Arbeitsschritte erledigt. Und permanente Fahrgassen, die den Boden schützen und höhere Ernteerträge gewährleisten, das gab es in der Branche bislang noch nicht. Dafür gab es die Goldmedaille im DLG Innovation Award 2022. 

Der DLG-Innovation Award „Junge Ideen“ ehrt Nachwuchswissenschaftler  für ihr außergewöhnliches wissenschaftliches Engagement im Bereich der Lebensmitteltechnologie. Neben der wissenschaftlichen Qualität soll die Forschungsarbeit einen praktischen Nutzen haben für die Lösung der in der Anwendung der Lebensmittelbe- und -verarbeitung vorliegenden Probleme. Mit diesem von der DLG verliehenen Preis sollen herausragende Leistungen ausgezeichnet und wissenschaftliche Talente bei der Fortführung ihrer Arbeit unterstützt werden. 

Nexat, so heißt die neue Maschine, ist auch der Name der Firma, die 2017 von den Kalverkamps gegründet wurde. Der „Alles-in-einem-Systemtraktor“ erledigt sämtliche Arbeitsschritte, von der Bodenbearbeitung, über die Saat, den Pflanzenschutz bis hin zur Ernte. Dazu kann die jeweils benötigte Maschinentechnik modular über ein Schnellwechselsystem in den Systemtraktor eingebaut werden; zusätzliche Fahrwerke sind nicht mehr erforderlich. 

Aufgrund der immer gleichbleibend hohen Arbeitsbreite (6 bis 24 Meter) gewährleistet das neue Pflanzenproduktionssystem die uneingeschränkte Nutzung des Controlled Traffic Farmings (CTF) und ist für die vollständige Autonomisierung vorbereitet. Controlled Traffic Farming (CTF) bedeutet, permanente, über Jahre beibehaltene Fahrgassen für alle Arbeitsgänge im Ackerbau und Pflanzenbau zu benutzen. Das Gegenteil ist Random Traffic, also die zufällige Überfahrt über die Flächen. Bei CTF werden die Flächen in einen Fahr- und einen Wachstumsraum getrennt. Der Hintergrund: Die Bodenverdichtungen beschränken sich auf wenige Spuren, der Wachstumsraum wird geschont. 

Systembedingt werden mit Nexat 95 Prozent der gesamten Ackerfläche nie wieder überfahren. Infolgedessen sei eine maximale Ertragspotentialentfaltung bei höchster Boden- und Umweltschonung möglich. Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit einer nachhaltigen Bodenverbesserung durch stetigen Humusaufbau, erhebliche CO2-Einsparung (Carbon Farming) sowie der nachhaltige Schutz der wertvollen Ackerfläche vor Erosion durch Wind und Wasser. 

Das Thema Nachhaltigkeit spielte laut Angaben der Firmenchefs bei der Entwicklung von Anfang an die zentrale Rolle, sowohl in ökonomischer als auch ökologischer Hinsicht. „Die Minimierung der notwendigen Maschinen durch das modulare Konzept ermöglicht eine Reduzierung der Anschaffungskosten sowie ein Energieeinsparpotential von 20 bis 40 Prozent gegenüber konventionellen Maschinen“, erläutert Felix Kalverkamp. 

Auf der Ertragsseite seien Steigerungen von 10 bis 20 Prozent möglich, was eine Rentabilitätserhöhung von 20 bis 50 Prozent bedeuten könne. „Dazu kommen deutliche Einsparungen hinsichtlich Zeit und Arbeitskraft“, erklärt Kalverkamp weiter. Um den ökologischen Aspekt zu maximieren, ist der elektrische Antrieb des Wide-Span-Wechselträgerfahrzeugs bereits auf den Betrieb per Brennstoffzelle mit grünem Wasserstoff vorbereitet. „Das wird ein entscheidender Schritt hin zur vollständigen Klimaneutralität“, ist sich Felix Kalverkamp sicher. 

In der Branche sorgte die Neuheit durchaus für Aufsehen, ist Nexat doch eher eine junge, kleine Firma, die sich im Wettbewerb mit alteingesessenen Traditionsunternehmen messen muß. „Daß Nexat nicht nur irgendeine Vision ist, zeigt sich in der Tatsache, daß das System bereits seit drei Jahren in der Pflanzenproduktion unter realen Bedingungen erfolgreich zum Einsatz kommt und von ausgesuchten Landwirten auf Herz und Nieren getestet wird“, kontert Kalverkamp senior. Das Projekt ist dabei kein Alleingang zweier positiv verrückter Familienunternehmer. Es entstand in enger Kooperation mit führenden Landtechnik-Herstellern.

So ist beispielsweise das schwedische Unternehmen Väderstad bereits seit geraumer Zeit ein eng eingebundener Partner. Väderstad hat als international markführender Hersteller von Bodenbearbeitungs-, Pflanz- und Sätechnik maßgeblichen Anteil an der Entwicklung und Anpassung spezifischer Modullösungen und wird diese zukünftig für das neue Pflanzenproduktionssystem anbieten. „Für eine langfristige klimaneutrale, ressourcenschonende Landwirtschaft muß ein Umdenken sowohl ackerbaulich als auch technologisch im Einklang mit der Natur stattfinden“, erklärte Vorstand Crister Stark.

 Weitere Partner sind der Landmaschinenhersteller Dammann und sowie der westfälische Maschinenbauer Geringhoff. Die Hersteller gehören neben Forschungseinrichtungen wie der Hochschule Osnabrück und der Universität Bremen zu den Kooperationspartnern des Nexat-Projekts.

Als die Kalverkamps 2013 mit ersten Ideen starteten, wollten Vater und Sohn den Ackerbau der Zukunft nicht mehr in einzelnen Maschinen denken, sondern in ganzheitlichen Anbausystemen. Der Markenname Nexat leitet sich übrigens aus dem Slogan „Next Generation Agriculture Technology“ ab. Das Grundfahrzeug verfügt über einen elektrischen Antrieb, über den die Kraftübertragung sehr leicht elektronisch gesteuert werden und energieeffizient erfolgen kann.

Klemens Kalverkamp freut sich über einen „sehr starken Investor“

Noch hat Nexat jedoch einen hybriden Fahrantrieb. Die Stromgeneratoren werden von zwei unabhängig voneinander ansteuerbaren Dieselmotoren angetrieben. Doch aus Gründen des Klimaschutzes sollen die Fahrzeuge in Zukunft möglichst mit Strom betrieben werden. „Da der gesamte Antriebsstrang elektrisch ist, können wir die Energiequelle relativ leicht ersetzen. Es ist also egal, ob der Strom aus einer Batterie oder Brennstoffzelle kommt“, sagt Felix Kalverkamp. Und weitere Auszeichnungen ließen nicht lange auf sich warten. Mit über vier Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Automatisierung des neuartigen Maschinenkonzeptes. Das BMLE betreut das Vorhaben gemeinsam mit der Landwirtschaftlichen Rentenbank. 

Kürzlich gab es abermals Raunen in der Branche. Die weltweit agierende EW Group wird künftig in Nexat investieren. Die auch Erich Wesjohann-Gruppe genannte Firma ist eine international tätige Unternehmensgruppe mit Sitz in Visbek in Nieder-sachsen. Sie umfaßt neben dem Mutterunternehmen 53 inländische und 220 ausländische Unternehmen und bedient Kunden in mehr als 160 Ländern.  

Die Unternehmensgruppe ist Weltmarktführer für Tierzucht für die Eier-, Geflügelfleisch- und Fischindustrie und einer der wichtigsten Akteure im globalen Agribusiness. Klemens Kalverkamp  freute sich über den „sehr starken Investor“. Außerdem stärke die Partnerschaft die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens und des Projekts Nexat. Die EW Group erhält eine Minderheitsbeteiligung, über die Höhe hüllte man sich aber in Schweigen. Vom 12. November bis 18. November 2023 war Nexat erstmals auf der  Agritechnica Messe in Hannover vertreten,  um die neue Technologie vorzustellen. Besucher berichteten von einem großen Interesse an der immer noch kleinen Firma, die derzeit laut eigener Mitteilung über lediglich 130 Mitarbeiter verfügt.