© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Glyphosat- und PCB-Prozesse in USA belasten Bayer immer mehr
Ende der Glückssträhne
Thomas Kirchner

Bayer steht in den Schlagzeilen. Ein Indiz, daß es wieder einmal schlecht läuft für den Konzern. Nicht nur haben die Leverkusener fünf Glyphosatprozesse in den USA verloren. Zuvor hatte Bayer neun nacheinander gewonnen. Auch die Studie für das Medikament Asundexian wurde abgebrochen, ein Hoffnungsträger für Bayer wie auch Millionen Patienten mit Vorhofflimmern. Die Aktie reagierte auf den Doppelschreck mit einem Kursrutsch um 18 Prozent.

Bayer-Chef Bill Anderson kommt vom Pharmariesen Genentech und dessen Mutterkonzern Roche. Doch ausgerechnet zum Start des Pharmaprofis wird eine Medikamentenstudie abgebrochen. Dazu kommen die US-Prozesse, die sich auf rund zwei Milliarden Dollar summieren. Die Zahlen sind astronomisch, doch ähnlich hohe Urteile der Vergangenheit schrumpften in der Revision auf einen Bruchteil. Positiv sind die vergleichsweise geringen Beträge von 1,5 und 3,5 Millionen Dollar, die Klägern in Missouri und Philadelphia zugesprochen wurden. Die größte Summe sprach ein Gericht in Missouri drei Klägern zu: 20 Millionen Dollar Schadenersatz plus 500 Millionen Strafe, pro Kläger. Üblich ist ein Verhältnis 1 zu 3, nicht 1 zu 25. Richter senken die Strafkomponente manchmal noch in Verhandlungen nach dem Hauptverfahren auf die übliche Größenordnung, spätestens in der Revision (JF 49/23).

Anderson wird durch alle Instanzen gehen, zunächst also Revision gegen Urteile einlegen. Er hofft, daß der Oberste Gerichtshof doch noch das Argument des Konzerns hört, Warnungen vor Glyphosat-Risiken wären von den Bundesbehörden nicht erlaubt worden, weshalb der Konzern nicht für fehlende Warnungen haften kann. Sollte Bayer ein solches Verfahren gewinnen, hätten sich alle Schadenersatzansprüche erledigt. Bisher hat Bayer 113.000 Fälle mit einem Vergleich über 9,6 Milliarden Dollar beigelegt. Das macht rund 90.000 Dollar pro Fall. Je öfter Bayer gewinnt, desto besser die Verhandlungsposition für künftige Vergleiche. Die nächsten beiden Glyphosatprozesse finden Anfang 2024 in Philadelphia statt.

Diese Urteile beherrschten die Schlagzeilen, doch zur gleichen Zeit verlor Bayer im Bundesstaat Washington 165 Millionen Dollar in Klagen wegen Polychlorierten Biphenylen (PCB), was sich damit in diesem Jahr auf 865 Millionen Dollar in acht verlorenen Prozessen summiert. Auch das ein Monsanto-Erbe, das noch auf die Zeit vor den 1970er Jahren zurückgeht. Mehr als 200 weitere PCB-Prozesse stehen noch an. Während Bayer bei Glyphosat neunmal gewinnen konnte, hat der Konzern hier keinen einzigen Prozeß gewonnen. Damit besteht das Risiko, daß Anwälte auf den Zug aufspringen und die Zahl der Klagen stark ansteigt.

Andersons berufliche Herkunft deutet auf eine künftige Ausrichtung des Konzerns in Richtung Pharma hin. Ob das mit einer Abspaltung der Agrochemiesparte samt Monsanto einhergeht, steht noch offen. Anderson verweist auf den nächsten Kapitalmarkttag des Konzerns am 5. März 2024, an dem er seine Pläne zur künftigen Konzernstruktur offenlegen will. Die Bewertung reiner Pharmafirmen liegt deutlich höher als die von Mischkonzernen, und Johnson & Johnson hat mit der Abspaltung von Kenvue gerade erst vorgemacht, daß rezeptfreie Medikamente als eigenständiges Unternehmen florieren können. Die Dreiteilung Bayers in Agrochemie, rezeptfreie Produkte und das Kerngeschäft Pharma dürfte ab März die Stoßrichtung Andersons sein.