Ein von den Grünen eingebrachter Ablehnungsantrag hat in der französischen Nationalversammlung am Montag die Verabschiedung eines neuen Einwanderungsgesetztes verhindert. Eine breite Ablehnungfront, die von den Kommunisten, dem Linksbündnis und den Grünen bis zum Rassemblement National (RN) reichte, blockierte damit eine Verschärfung des französischen Ausländerrechts. Gleichzeitig waren aber auch einige Erleichterungen für bereits im Land lebende Migranten vorgesehen, die damit ebenfalls nicht in Kraft treten können.
Für den Ablehnungsantrag, der dem Gesetz die Verfassungskonformität absprach, stimmten 270 Abgeordnete, bei 265 Gegenstimmen. Ein erfolgreicher Ablehnungsantrag bedeutet, daß in der Nationalversammlung nicht einmal eine Debatte stattfinden kann und daß das Gesetz zur erneuten Lesung in den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, überwiesen wird. Zuletzt kam es zu diesem unerhörten Vorgang 2008 bei einem Gesetz zum Einsatz von Gentechnik.
Linke und Rechte wittern schon das Ende von Macrons Herrschaft
Für den französischen Präsidenten und seinen federführenden Innenminister, Gérald Darmanin, ist dieses Votum ein „Schlag ins Gesicht“, wie verschiedene Medien kommentierten. Gar von einem „Beresina“-Ereignis war vielfach die Rede, der napoleonischen Entsprechung in Rußland zur deutschen „Stalingrad“-Niederlage von 1943.
Bis zuletzt hatte Darmanin gehofft, daß die konservativen Republikaner (LR) das Gesetz, das auch die Streichung von Sozialleistungen und Ausweisungen erleichtern würde, aus Verantwortungsgefühl mittragen würden. Gleichzeitig mußte er aber dem linken, einwanderungsfreundlichen Flügel seiner Partei „Renaissance“ Zugeständnisse machen. Dies betraf die geplante einzelfallbezogene Legalisierung schwarzarbeitender illegaler Einwanderer in Mangelberufen auf dem Bau oder im hauswirtschaftlichen Bereich. Ein Spagat nach der Formel „böse sein mit den Bösen und nett mit den Netten“, der mit den von Marine Le Pens Rassemblement National getriebenen Republikanern offenbar nicht mehr möglich war.
Daran änderten auch Darmanins Drohungen an die Republikaner, sie im Zweifel für das nächste Attentat eines nicht abgeschobenen Straftäters verantwortlich zu machen, nichts. Auch der Verweis auf europäisches Recht, das schärferen Asyl- und Einwanderungsgesetzten, zum Beispiel zum Thema Familiennachzug, klare Grenzen aufzeigt, half nicht. Insbesondere, daß Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht nun doch nicht mit einer Gefängnisstrafe belegt werden sollten, mißfiel der Partei Éric Ciottis. Dieser forderte die Regierung auf, zu einem früheren, schärferen Entwurf des Gesetzes zurückzukommen, womit er gleichzeitig Kooperationsbereitschaft signalisierte. Die Linke, namentlich der Chef von LFI („Das nicht unterworfene Frankreich“) Jean-Luc Mélenchon, sieht dagegen „den Anfang vom Ende“ von Macrons Regentschaft gekommen.
Innenminister Darmanin selbst zeigte sich dagegen sehr enttäuscht von den konservativen Republikanern: „Es tut mir weh, zu sehen, wie die LR die Krücke des RN spielen.“ Mancher Beobachter sah in der Ohrfeige des LR aber auch eine späte Revanche gegenüber Darmanin, der 2017 aus Unzufriedenheit mit der Präsidentschaftskandidatur des skandalgeplagten François Fillon hastig von den Republikanern ins Macron-Lager wechselte. Noch am Abend der Abstimmung bot Darmanin Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt an, den dieser aber umgehend ablehnte. Auch aus der Opposition kamen Rücktrittsforderungen. Der Rassemblement-National-Vorsitzende Jordan Bardella forderte gar Parlamentsneuwahlen.
Die RN-Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen warf der Regierung vor, daß sie dank des Verfassungsparagraphen 49.3, der der Regierung erlaube, Gesetze auch ohne Mehrheit durchs Parlament zu bringen, vergessen habe, daß sie in der Minderheit sei. Gleichzeitig hob sie die Tragweite dieses Votums hervor: Es sei eine „mächtige Ablehung des Sowohl-Als-auch“, sprich des Formelkompromisses, der alle ein bißchen zufrieden mache. Darüber hinaus kündigte sie an, „gleich damit zu beginnen, einen überparteilichen Gesetzesvorschlag zu erstellen, der die Ausweisung ausländischer Straftäter erleichtert“.
Darmanin, der bisher für die Wahlen im Jahr 2027 als aussichtsreichster Nachfolger für Präsident Macron, der nicht mehr kandidieren darf, gehandelt wurde, bleiben nun drei Möglichkeiten: Er kann das Gesetz im Januar erneut in der zweiten Kammer, dem Senat, beraten lassen. Als zweite Möglichkeit könnte er eine „Gemischte Kommission“ aus sieben Senatoren und sieben Nationalversammlungsabgeordneten einen Kompromißvorschlag erarbeiten lassen. Die dritte Option, das Gesetzesvorhaben ganz fallenzulassen, dürfte in Anbetracht der massiven unkontrollierten Einwanderung in Frankreich dagegen keine realistische sein.