© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Grüße aus … Antananarivo
Keine Pest an Bord
Marc Zoellner

Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest – zum Glück nicht an Bord. Zwar ist der zweitgrößte Inselstaat der Welt noch immer berüchtigt für seine endemisch auftretenden tropischen Krankheiten, von denen neben der Pest wohl Cholera und Malaria, Dengue- und Rifttalfieber auch in Europa zumindest vom Namen her am bekanntesten sein dürften. Doch zumindest die allgemeine Gesundheitsvorsorge der Madegassen hatte in den vergangenen Jahrzehnten wahre Berge versetzen können, so daß heutzutage selbst ohne prophylaktische Impfungen eine Einreise auf die exotische „Rote Insel“ vor der Küste Ostafrikas bedenkenlos möglich ist.

Was meine abenteuerlustige Reisebegleiterin und ich stattdessen an Bord hatten, war ein original Dresdner Christstollen als Mitbringsel für die Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars. Immerhin steht nicht nur Weihnachten vor der Tür. 

„Wer stets zu Hause bleibt, sieht nur des Feuers Asche“, erklären uns die Madegassen immer wieder.

Der November wartete überdies mit dem 140. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-madagassischen Freundschaftsvertrags von 1883 auf, welchem das hiesige Goethe-Institut einen gelungenen klassischen Konzertabend widmete. Der auch bei den Einheimischen auf positive Resonanz stieß: Immerhin erfreut sich die deutsche Kultur einer ungebremsten Beliebtheit. An den Schulen und Universitäten lernen Zehntausende Deutsch als Fremdsprache. Auf den Büchermärkten Antananarivos finden sich neben dem Duden auch Exemplare von Karl Mays Abenteuerromanen in deutscher Sprache; selbst in die Landessprache fanden deutsche Vokabeln schon vor einem Jahrhundert nachhaltig Einzug.

„Ja, ja!“, so hört man immer wieder Zustimmung, in der gleichen Betonung und Bedeutung wie auch im Deutschen. „Schon als Madagaskar sozialistisch war“, nämlich in der Zeit von 1975 bis 1992, so wird uns erklärt, „haben wir sehr viele Bücher aus der DDR erhalten. Darunter Goethe, Schiller und Hermann Hesse, aber auch Bert Brecht und Anna Seghers.“ 

Unruhige politische Zeiten halten die Insel derzeit im Griff. Unsere Expeditionen in die Lemurenwälder verliefen hingegen friedlich. Einzig der Umstieg auf einem Regionalflughafen endete fast im Tumult: In der Abenddämmerung fielen plötzlich Tausende Angehörige der Yanga Grandidieri über die Passagiere her, die vor dem Flieger auf der Rollbahn Schlange standen. Zum Glück keine Rebellen – nur handflächengroße Singzikaden, die wie ein Hagelsturm aus dem Himmel stürzten. 

Bei solchen spannenden Szenen frohlockt das sächsische Abenteuerherz und wünscht, der Weg in die Ferne ende nicht schon am Horizont. Denn wie die Menschen auf Madagaskar zu sagen pflegen: „Wer stets zu Hause bleibt, sieht nur des Feuers Asche.“