Der Krieg in der Ukraine erscheint festgefahren. In unendlich langen und ausgebauten Stellungssystemen, Schützengräben und Bunkeranlagen stehen sich Russen und Ukrainer gegenüber, während über ihren Köpfen Drohnen, Raketen und Artilleriegranaten für Tod und Verwüstung sorgen. Nach den schmerzhaften Niederlagen bei Kiew, Charkiw und Cherson im vergangenen Jahr hat die russische Führung in Moskau erkannt, daß sie sich auf einen langwierigen und zermürbenden Krieg einstellen muß. Orte wie Awdijiwka oder Bachmut haben sich wie Verdun zu einer Blutmühle verwandelt.
In Reaktion darauf wurde die Produktion in Rußland drastisch hochgefahren. Munition, Kampffahrzeuge und weitere Kriegsmaterialien, darunter auch ballistische Raketen, werden nun in enorm gesteigerten Mengen produziert. Experten schätzen, daß die Produktion trotz Sanktionen die des Vorkriegsniveaus um 100 Prozent übertrifft. Und während der Westen der Ukraine zwar viel versprochen hat, ist nur ein Teil davon bisher tatsächlich angekommen. Der Mangel an Artilleriemunition führt dazu, daß die Ukraine die vielerorts im Sommer erlangte Feuerüberlegenheit wieder verloren hat. Gleichzeitig erreichen Militärgüter nur langsam die ukrainischen Streitkräfte, die sich mit der Herausforderung konfrontiert sehen, die im Sommer verschlissenen Verbände neu aufstellen zu müssen.
Um den unstillbaren Bedarf an Artilleriemunition zu decken, greift Rußland auf Lieferungen aus Nordkorea zurück. Diese alten, aber immer noch tödlichen Geschosse dienen dazu, die stetig donnernden Geschütze an der Front zu speisen. Moskau scheint entschlossen, diese Abnutzungsschlacht bis zum Ende auszufechten.
Rußland mobilisiert immer wieder neue Reserven
Die Ukraine versucht derweil mit eigener Rüstungsproduktion, Material nachzuschieben. Gleichzeitig muß sie feststellen, daß die kostbarsten Ressourcen Menschen sind. Die Mobilisierungswellen erfassen immer mehr Männer, was den innenpolitischen Druck auf die Führung in Kiew weiter erhöht. Die zuletzt vom Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj geäußerte Behauptung, daß man sich in einem technologischen Patt befinde, der sich im Stillstand an der Front äußert, sieht sich in der Realität bestätigt. Die Geländegewinne beider Seiten lassen sich nur in Metern und Leichen pro Tag messen.
Nach der gescheiterten ukrainischen Offensive hat Rußland erneut die Initiative ergriffen. Mit sogenannten „Storm-Z-Einheiten“, die mehrheitlich aus motorisierter Infanterie bestehen, bauen russische Kommandeure permanenten Druck durch Angriffswellen auf – vor allem bei Awdijiwka im Donbass.
Diese Taktik führt zu einer erschreckend hohen Anzahl an Verlusten auf russischer Seite, dennoch scheint Moskau diese Verluste zu verkraften. Gleichzeitig werden ständig neue Reserven mobilisiert und unerbittlich in den Kampf geschickt. Es gibt derzeit wenig Anzeichen dafür, daß dieser Druck nicht über den gesamten Winter aufrechterhalten werden kann. Zeitgleich muß sich Kiew erneut auf eine Luftkampagne durch russische Drohnen und Raketen einstellen, die die geschundene Infrastruktur der Ukraine weiter beschädigen sollen.
Die kürzlich auf der russisch gehaltenen Seite des Dnepr in Südcherson etablierten ukrainischen Brückenköpfe sind der jüngste Versuch der Ukraine, noch einen Durchbruch an einer der Fronten zu erreichen. Zwar gelingt es ihr bisher, den Brückenkopf zu halten und auszuweiten. Sie muß jedoch feststellen, daß es für den Angreifer gleichzeitig zum Dilemma wird, wenn er über den Fluß hinweg die eigenen Truppen versorgen muß. Ein Problem, das die Russen selbst vor etwa einem Jahr in Cherson auf der gegenüberliegenden Seite hatten. Allzu große Veränderungen wird es auf der Karte vermutlich in diesem Jahr nicht mehr geben.