© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

„Ich halte das für total gefährlich“
Pro-Palästina-Demos: Wie islamistische Netzwerke vor allem auf junge Leute zielen / Teil 2 der Reportage
Hinrich Rohbohm

Das Entsetzen steht ihm noch immer ins Gesicht geschrieben. „Ich erkenne manche Leute einfach nicht mehr wieder“, sagt Deniz, ein Döner-Verkäufer aus der Essener Innenstadt. Als sich dort Anfang November eine Pro-Palästina-Demonstration zu einer Islamistenkundgebung entwickelte, seien auch einige Freunde und Bekannte des 32 Jahre alten Türken dabeigewesen. „Es waren einige dabei, von denen ich das nie im Leben gedacht hätte. Ich war echt schockiert“, erzählt er der JUNGEN FREIHEIT.

Vor allem jüngere Muslime würden sich immer stärker radikalisieren. Die Massaker der Hamas in Israel und die darauf folgenden Angriffe Israels auf den Gazastreifen hätten bei ihnen „wie ein Brandbeschleuniger“ gewirkt. „Auf der Demo waren auch Plakate mit der Aufschrift ‘Das Kalifat ist die Lösung’ dabei. Das glauben junge Muslime in Deutschland inzwischen immer mehr. Ich halte das für total gefährlich“, warnt Deniz, der selbst gläubiger Muslim ist. Und er bestätigt: „Auch Hizb-ut-Tahrir-Leute waren auf der Demo.“ Er selbst habe ihre Transparente gesehen. „Die haben immer so schwarze Banner mit weißer Schrift dabei, das ist ihr Erkennungszeichen.“

Bereits im März dieses Jahres hatte die JUNGE FREIHEIT über den Zulauf der Gruppe „Muslime Interaktiv“ in Hamburg berichtet (JF 13/23). Islamisten, die in schwarzen Kapuzenpullovern auftreten, gegen Israel demonstrieren und die Einheit des Islams in einem Gottesstaat fordern und die besonders in den sozialen Medien versuchen, junge Menschen für ihren religiösen Fanatismus zu gewinnen. Offenbar hat die Gruppe nach Hamburg nun auch Essen als Operationsfeld für sich entdeckt.

„Muslime Interaktiv“ gilt ähnlich wie die Gruppen „Realität Islam“ oder „Generation Islam“ als Tarnorganisation für die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte islamistische Organisation Hizb- ut-Tahrir (HuT), die die Errichtung eines weltweiten Kalifats anstrebt, die parlamentarische Demokratie ablehnt und die Vernichtung des Staates Israel anstrebt.

Hamas-Unterstützer mit linker Szene vernetzt

Anmelder jener Demonstration vom 3. November in Essen, bei der mehr als 3.000 Menschen auf die Straße gingen, war mit „Generation Islam“ einer jener Ableger der HuT. Als führender Kopf von „Generation Islam“ gilt Ahmad Tamim, der in Essen ebenso als Hauptredner bei der Kundgebung in Erscheinung getreten war wie auf dem Alexanderplatz in Berlin.

Er bezeichnet sich selbst als Palästinenser. Doch nachdem gegen ihn in Essen ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet worden war, kam heraus: Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen 34 Jahre alten deutsch-afghanischen Doppelstaatler. Gruppen wie „Generation Islam“ vermeiden aufgrund des Betätigungsverbots ein offenes Bekenntnis zu HuT, bemühen sich, die Nähe zu der Islamistenorganisation zu verschleiern. Bis 2020 tauchte im Impressum von „Generation Islam“ der Name Kawa Qhdeer in der Riesserstraße 3 in Hamburg auf. Ist es der wahre Name von Tamim? Erst später taucht der Name Tamim im Impressum für die „Generation Islam“ auf. Versehen mit der Adresse einer Anwaltskanzlei in Potsdam.

Auch andere pro-palästinensische Gruppen in Deutschland tarnen ihre Aktivitäten überwiegend in zahlreichen kleinen Vereinsstrukturen. Wie in der vergangenen Woche berichtet (JF 50/23), haben die Unterstützer der palästinensischen Terrororganisation Hamas verschiedene Gesichter, die zudem eng mit Teilen der linksradikalen Szene vernetzt sind. Deutschland gilt dabei vor allem als Ort der Geldbeschaffung für das Umfeld der Hamas. Immer wieder treten diverse Kleinstgruppen und Vereine durch Spendensammlungen in Erscheinung.

Einer dieser Vereine ist die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD). Eine Gruppierung, die laut Einschätzung deutscher Verfassungsschutzbehörden überwiegend aus Hamas-Anhängern besteht. Einer ihrer Unterstützer ist Mohamed Taha Sabri, Imam an der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin-Neukölln, der auch als Redner der Organisation aufgetreten war. Die zumeist von Palästinensern aufgesuchte Gebetsstätte gilt als eine der meistbesuchten Moscheegemeinden in Berlin und firmiert wiederum unter dem Vereinsnamen Neuköllner Begegnungsstätte e.V. (NBS), als deren Vorsitzender Sabri fungiert.

Der Verein ist Mitglied im Zentralrat der Muslime, dessen sonst ausgesprochen öffentlichkeitswirksamer Vorsitzender Aiman Mazyek auffällig lange zu den Hamas-Massakern in Israel geschwiegen hatte. Sabris Nähe zur PGD, und damit zur Hamas, sowie die Tatsache, daß auch die NBS bereits ins Visier des Berliner Verfassungsschutzes gerückt war, hielten den damaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) 2015 nicht davon ab, Sabri mit dem Verdienstorden des Landes auszuzeichnen. Nur ein Jahr später hatte er in einer Predigt jede Erneuerung als Ketzerei bezichtigt und den Führungsanspruch des Islams gegenüber allen anderen Religionen betont.

„Wir arbeiten mit denen zusammen“

Mehrfach trat in der NBS-Moscheegemeinde der aufgrund seiner hohen medialen Reichweite als „Tom Cruise des Salafismus“ bezeichnete saudische Haßprediger Muhammad al-Arifi auf. Selbst in Saudi-Arabien wird er von den Sicherheitsbehörden überwacht; sein Twitter-Account mit über 20 Millionen Followern war 2018 aufgrund seiner radikalen Inhalte gesperrt worden. Für den Schengenraum ist er mit einem Einreiseverbot belegt. Nach Deutschland konnte er trotzdem kommen. Auch der einstige Leiter des Bildungsbüros des sogenannten Islamischen Staates, Reda Seyam, zählte zu den Besuchern der NBS-Moschee, filmte dort die Haßpredigt al-Arifis.

Ein weiterer radikaler Redner war der Hamas-Unterstützer Raed Fathi. Der aus Israel stammende Araber und Religionsgelehrte hatte einst in einem Youtube-Video den Mentor Osama bin Ladens, Abdullah Azzam, als „Held“ bezeichnet.

Auch die Bewegung „Palästina spricht“ zählt zu den antiisraelischen Demo-Protagonisten. In Bremen hatte das Ordnungsamt eine von der Gruppe geplante Demonstration verboten. Der Grund: Äußerungen in den sozialen Medien, in denen Israel als „Apartheidstaat“ und Aggressor dargestellt werde, gegen den man sich auch mit den von der Hamas verübten Terrorakten zur Wehr setzen dürfe. Über die Gruppe selbst ist wenig bekannt. Das Impressum ihres Internetauftritts weist lediglich eine Adresse in Jordanien auf. 

Die junge freiheit hat sich in mehreren deutschen Städten unter jungen Muslimen umgehört. Doch kaum jemand will Näheres über die Bewegung  sagen. „Ich habe davon gehört, daß die einige Demos organisieren, aber mehr weiß ich nicht“, kommt da meist nur als Antwort. Erst verdeckte Recherchen in der Linken-Hochburg von Leipzig-Connewitz bringen unerwartete Klarheit. „Wir arbeiten mit denen in der BDS-Kampagne zusammen“, verplappert sich dort ein etwa 20jähriger „Aktivist“. Wobei er mit „wir“ überraschenderweise  „verschiedene Klimaschutzgruppen“ rund um Fridays for Future meint. 

BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Es handelt es sich um einen Aufruf von über 170 palästinensischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Ziel der Kampagne ist es, den Staat Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell in der Welt zu isolieren. Auch akademische Boykotte zählen zu deren Methoden.

In Deutschland ist die Kampagne als reines Netzwerk organisiert, ein Verein existiert nicht. Ein dubioses Koordinierungsgremium zieht die Fäden im Hintergrund, beschafft Gelder. Nicht ohne Erfolg. Die Bundesregierung förderte zwischen 2012 und 2015 NGO-Projekte, die den Israel-Boykott unterstützen, mit Mitteln in Höhe von 1,7 Millionen Euro. Und selbst deutsche parteinahe Stiftungen förderten bereits BDS-Unterstützergruppen, wie etwa die Nichtregierungsorganisation Miftah. Bereits in den Jahren 2008 bis 2013 hatte sie von der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen 300.000 Euro erhalten.