Haushaltskrise und Entscheidungskrise sind die Begriffe, die zum Jahresende 2023 weit über das Berliner Regierungsviertel hinaus die deutsche Politik bestimmen. Vor einem Monat hatte das Bundesverfassungsgericht die von der Ampel-Koalition beschlossene Umgehung der Schuldenbremse für verfassungswidrig erklärt.
Inzwischen warnt auch die Wirtschaft vor einer weiteren Hängepartie. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte, Einsparungen von 17 Milliarden Euro bei einem Bundeshaushalt von rund 470 Milliarden Euro müßten möglich sein. „Das schürt Unsicherheit und steigert nur die Unzufriedenheit mit der Demokratie.“ Ähnlich äußerten sich die Gewerkschaften. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich eingeschaltet und spricht mit führenden Koalitionspolitikern. Dabei dürfte es um Auswege aus dem Stillstand der Koalition gehen.
Längst werden die Durchhalteparolen der Koalitionäre nur noch achselzuckend zur Kenntnis genommen. Fest steht, daß der Haushalt 2024 vom Bundestag nicht mehr fristgerecht in diesem Jahr verabschiedet werden wird. 2024 beginnt mit einer vorläufigen Haushaltsführung. Diese regelt, daß der Staat auch ohne gültigen Etat alle laufenden Verpflichtungen erfüllen kann. Neue Aufgaben dürfen aber nicht hinzukommen.
Mitgliederbefragung über ein Ende der Koalition
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vize Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ringen seit Wochen darum, ein 17 Milliarden Euro großes Loch im Etat 2024 zu stopfen und dennoch Investitionen für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft zu ermöglichen. Lindner will Einsparungen durchsetzen, lehnt bisher ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse ab, um weitere Milliardenkredite aufzunehmen. Denn CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz hat für diesen Fall mit einer erneuten Verfassungsklage gedroht. „Aus meiner Sicht gibt es keine Veranlassung, jetzt noch einmal die Notlage zu erklären. Unser Verfahrensbevollmächtigter steht auf Standby.“ Würde das Karlsruher Gericht ein weiteres Mal den Daumen über den Bundeshaushalt senken, wäre Lindners politisches Schicksal besiegelt.
Zudem sieht sich der FDP-Chef gegen seinen öffentlich erklärten Willen mit einer Mitgliederbefragung konfrontiert, ob seine Partei in der Koalition bleiben soll oder nicht. Rechtlich ist die Abstimmung nicht bindend, doch war die Nervosität unter den rund 70.000 Liberalen bereits nach den Wahlniederlagen in den Ländern beträchtlich gestiegen. Ein merkwürdiges Demokratieverständnis offenbarte FDP-Urgestein Gerhart Rudolf Baum. „Sollten die Mitglieder mehrheitlich für einen Koalitionsbruch votieren, muß die Parteispitze das Ergebnis ignorieren.“
Der Politik-Streß wird für die Ampel auch 2024 weitergehen, denn mehrere Verfassungsgerichtsurteile könnten ihr das Überleben schwermachen. Die Reform des Wahlrechts zur Verkleinerung des Bundestags, der Umfang des Fragerechts der Opposition gegenüber der Regierung, die Einsetzung eines (verweigerten) parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Cum-Ex-Finanzskandal und der Rolle von Scholz werden die Koalitionäre auf Trab halten. Und bereits am nächsten Dienstag geht es darum, ob auch die Bundestagswahl 2021 aufgrund des Verwaltungschaos in Berlin komplett oder nur teilweise wiederholt werden muß.