Dank einer geschickten Parteitagsregie seiner SPD geht Bundeskanzler Olaf Scholz als Koalitionär gestärkt aus dem dreitägigen Treffen hervor; trotz katastrophaler persönlicher Umfragewerte und deprimierender Noten für das Ampel-Bündnis.
„Hier bist du zu Hause“, flötete die mit gutem Ergebnis bestätigte Co-Parteichefin Saskia Esken in Richtung Scholz, nachdem er fast unbemerkt seinen Delegiertenplatz in der Berliner Messehalle eingenommen hatte. Groß war die Sorge der Führung, das Parteivolk könne seinem Kanzler vorhalten, er lasse in der Ampel zu wenig sozialdemokratisches Profil erkennen, sei nur als Dauerschlichter zwischen FDP und Grünen unterwegs.
Doch Scholz kennt seinen Laden, verfügt über einen ungeheuren Erfahrungsschatz in Partei- und Regierungsämtern, von dem ein Friedrich Merz (CDU) nur träumen kann. So hölzern, inhaltsleer und emotionslos der „Scholzomat“ seine Regierungserklärungen im Bundestag abspult, so engagiert und kämpferisch präsentierte er sich auf dem Parteitag. Und dann fiel der Satz, auf den alle gehofft hatten: „Eines ist für mich klar. Es wird in dieser Situation keinen Abbau des Sozialstaates geben“. So wurde eine „einmalige Krisenabgabe“ auf höchste Vermögen beschlossen. Und auch durch eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer sollen Reiche stärker zum Gemeinwohl beitragen.
Fünf Minuten wärmender Beifall
Eine knappe einstündige Rede nur mit Stichwortzettel reichte, um die Genossen in Hochstimmung zu versetzen. Sie sei „von Herzen angefaßt“, bekannte Esken gerührt. Kein Wunder, hatte der Kanzler das Reizwort Schuldenbremse gar nicht erst in den Mund genommen. Das besorgten die Genossen schon selbst, denn direkt im Anschluß an den Kanzlerauftritt beschlossen sie einstimmig die Aussetzung der Schuldenbremse auch für 2024. Daß Scholz mit leeren Händen aus den Dauer-Haushaltsverhandlungen mit seinen sperrigen Ampel-Partnern kam, schadete ihm nicht. Im Gegenteil. Wärmender Beifall fünf Minuten lang.
Als kleiner Stimmungskiller in der sozialdemokratischen Wohlfühlrunde erwies sich der kürzlich neu gewählte Juso-Vorsitzende Philipp Türmer. „Die Menschen stehen mit kalten Füßen vor Schlangen der Tafeln“, kritisierte er. Das sei ein „Armutszeugnis für die Sozialdemokratie“. Die Krise sei auch nicht gelöst, wenn die Partei während der Kanzlerrede dreimal aufstehe, so Türmer, der aber nur spärlichen Beifall erhielt. „Da draußen brennt die Hütte.“
Hämischen Jubel gab es wenig solidarisch, als das Ergebnis für Michael Roth bekanntgegeben wurde, der nicht wieder in den Parteivorstand gewählt wurde. Ein Paukenschlag. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ist ein vehementer Unterstützer von Waffenlieferungen an die Ukraine. Dabei hatte Scholz angekündigt, Deutschland müsse möglicherweise noch mehr leisten, „wenn andere schwächeln“. Gemeint war eine weitere militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine, die wohl im Fall einer erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2024 fraglich werden könnte.
Wichtige Themen des Parteitags waren die im nächsten Jahr anstehenden drei Landtagswahlen und die Migrationspolitik. Die Partei bekannte sich zwar zu Abschiebungen, wenn kein Bleiberecht besteht. Kritik gab es aber von den Jusos an der Äußerung von Scholz, Abschiebungen seien „im großen Stil“ erforderlich. Und spürbar war die Sorge vor einem guten Abschneiden der AfD. Man dürfe niemandem durchgehen lassen, daß man rechtsradikale Ideen entwickle, nur weil es einem schlecht geht. Die SPD sei von Menschen gegründet worden, „die in Not waren, ohne daß sie schlecht über ihre Nachbarn redeten oder Haß und Hetze verbreiteten“, sagte Scholz. Lauter Applaus. Da hätte eine schonungslose Analyse der Wählerwanderungen zur AfD – zuletzt in Bayern und Hessen – die Harmonie nur gestört.
Parteitagsbeobachter erinnerten sich schmunzelnd an einen Spruch von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der allerdings nicht eingeladen worden war. Er hatte seine Partei 1995 mit einem niedersächsischen Schafstall verglichen. „Wenn man sich nähert, riecht’s ein bißchen. Aber wenn man drinnen ist, ist’s schön warm.“