© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Absurde Pläne
Warum eine EU-Erweiterung um die Ukraine schlecht für alle Seiten wäre
Richard Sulík

Das Friedensprojekt EU will eine Kriegspartei aufnehmen. Absurd? Vielleicht ja. Aber nicht, wenn eine unfähige Verteidigungsministerin die Regie führt. Wie nämlich bekannt, war Ursula von der Leyen deutsche Verteidigungsministerin, bevor sie von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Brüssel hochgelobt wurde. Vielleicht in der Hoffnung, dort weniger Schaden anzurichten als bei der Bundeswehr.

Egal wie, die Ukraine – die sich seit zwei Jahren im Krieg mit Rußland befindet – in die EU aufzunehmen ist der absurdeste Gedanke seit der Aufnahme von Griechenland in den Schengen-Raum und Italien in die Eurozone.

Die erste Frage ist, welche Ukraine soll in die EU aufgenommen werden? Die von 1918, 1950, 1990, 2014, 2022, die heutige oder die, die bei Kriegsende übrigbleibt? Mit der Perspektive auf die Außengrenze ist die Ukraine in den vergangenen hundert Jahren ein recht instabiles Land gewesen. Die an die Slowakei grenzende Karpatenukraine, die 2014 von Rußland annektierte Halbinsel Krim, der jetzt russisch besetzte Donbas mit der Nachbarregion Luhansk, all das sind Gebiete, die nicht immer oder heute nicht mehr zum Land gehören.

Momentan ist es zwar gesellschaftliche Pflicht, so zu tun, als ob Kiew keine Gebiete verliert und sogar die Krim zurückbekommen könnte, die Realität sieht jedoch anders aus. Die Russen geben die strategisch wichtige Halbinsel nicht wieder her, auch wenn sie mit deren Besetzung das Völkerrecht verletzt haben.

Die stark russischsprachig geprägten östlichen Gebiete um die selbsternannten Volksrepubliken Luhansk, Donezk und das Industriegebiet des Donbas werden nicht zurückerobert werden, weil einerseits der Westen zu wenig hilft – dank der Demokratie langsam kriegsmüde wird – und andererseits der Ukraine selbst die Männer ausgehen. Die Jungen sind tot oder im Westen.

Als ich slowakischer Wirtschaftsminister war, habe ich die Exportlizenz für zwölf Stück schrottreife MiG-29 ausgestellt, die die Slowakei der Ukraine geschenkt hat. Das Luftabwehrsystem S-300, das wir dorthin geschickt haben, hat auch schon bessere Zeiten erlebt, die modernen westlichen Waffensysteme kommen, wenn überhaupt nur in homöopathischen Mengen. Damit gewinnt man wirklich keinen Krieg gegen eine Supermacht.

Und dann ist da noch die Demokratie. Wird Ex-Präsident Donald Trump nächstes Jahr in den USA erneut zum Präsidenten gewählt, ist es aus mit der Unterstützung für Kiew. Und in Europa bröckelt sie auch, die Solidarität. Mein Land, die Slowakei, lehnt beispielsweise nach unseren Parlamentswahlen und mit der  neuen Regierung weitere Hilfen ab.

Aber auch wenn der Krieg irgendwie beendet wird und die Ukraine irgendwelche festen Grenzen hat, bleibt sie, was sie schon vor dem Krieg war: ein sehr armes Land, von Korruption zerfressen und mit extrem ineffektiver Verwaltung. 

Was bedeutet das für die Europäische Union? Erstens, die Menschen werden das Land verlassen und gen Westen ziehen. So wie in Litauen, das 2004 der EU beigetreten ist. Der kleine Staat im Baltikum verlor 25 Prozent seiner Bevölkerung. Auch aus der Ukraine werden die meisten qualifizierten Arbeitskräfte vom Westen regelrecht abgesaugt werden. Das hilft vielleicht Deutschland, aber schadet massiv der Ukraine. 

Zweitens wird das Land aufgekauft. Vor allem der Boden, vielleicht auch einige Staatsbetriebe – in den Augen der Ukrainer das Tafelsilber – werden für den sprichwörtliche Appel und ein Ei verscherbelt werden. Das sind wirklich keine rosigen Aussichten für das Land, dessen Pro-Kopf-Wirtschaftsleitung etwa ein Zehntel des EU-Durchschnitts beträgt. Bisher war das 2007 beigetretene Bulgarien, mit etwa 12.000 US-Dollar pro Kopf, das Armenhaus Europas. Ein Ukrainer erwirtschaftet dagegen nur etwas mehr als 4.000 US-Dollar.

Drittens wird die Ukraine, sobald sie in der EU ist, massiv im Handel behindert. Kiews Getreide ist schon heute durch das extrem niedrige BIP viel zu billig, andere Kommoditäten werden es auch sein. Was wird die EU machen? Sie wird ihren bestehenden Markt wie bisher schützen, dafür sorgen schon die am meisten betroffenen Länder. Die EU ist nämlich kein Samariterbund, sondern ein Verein von Egoisten, die ihre in nationalen Parlamentswahlen gesetzten Ziele durchbringen wollen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán macht es vielleicht etwas tolpatschig, aber die anderen denken nicht weniger an die nationalen Interessen als er, allen voran die Franzosen.

Und die EU? Die hat genug Probleme mit sich selbst. Mehrere Sorgenkinder: Eine Unwucht von tausend Milliarden im Target-2-System, sieben tausend Milliarden als Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank, Millionen illegale Migranten jährlich, stetig sinkende Industrieproduktion und eine wachsende Steuerquote. Das ist traurig und ein starker Grund, die unfähigen Eliten auszutauschen und nicht neue Problemkinder aufzunehmen.

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen man guten Gewissens sagen konnte, die EU ist der stärkste Wirtschaftsblock der Welt. Ich erinnere mich, als manche sagten, der Euro wird die Weltwährung schlechthin. Ja, vielleicht hätte dies unter einem EZB-Präsidenten wie Wim Duisenberg gelingen können. Aber Jean-Claude Trichet, Mario Draghi und Christine Lagarde haben es vergeigt.

Alles in allem ist es wirklich eine schlechte Idee, die Ukraine in die EU aufzunehmen. Vielleicht weiß das von der Leyen sogar und schmiert den Ukrainern nur Honig ums Maul. Das wäre kein feiner Zug. Oder sie weiß es nicht, und dann kommt ganz gelegen, daß in sieben Monaten die Europawahlen anstehen und ihr Mandat endet.






Richard Sulík war slowakischer Vize-Ministerpräsident, Wirtschaftsminister und Parlamentspräsident. Er bewirbt sich für die Partei Sloboda a Solidarita (Freiheit und Solidarität) um einen Platz im EU-Parlament.