Drache und Adler. In ihr selbstgemachtes Haushaltsdesaster wäre die ökosozialistische Berliner Ampelregierung ohne ihren kostspieligen Ehrgeiz nicht geraten, das Weltklima retten und sich zugleich als Weltsozialamt profilieren zu wollen. Wenn jetzt die Koalitionäre, was wenig wahrscheinlich ist, mit Sparen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagieren sollten, würde Rainer Zitelmann ihnen empfehlen, zuerst den kompletten Etat der Entwicklungshilfe zu streichen. Denn der mit Ratgebern à la „Wie werde und wie bleibe ich reich“ bekannt gewordene Publizist und einstige PR-Unternehmer sieht in der Entwicklungshilfe das zuverlässigste Instrument, um Armut zu zementieren. Jene beiden Länder hingegen, Polen und Vietnam, den weißen Adler und den Drachen, deren wirtschaftlichen Aufstieg seit Ende des Kalten Krieges er in seinem neuen Buch schildert, haben sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf des sozialistischen Elends befreit, indem sie sich zur kapitalistischen Marktwirtschaft bekehrten. In Vietnam mehr als in Polen scheint der rasante ökonomische Aufstieg nach neoliberalen Rezepten allerdings mit bedenklichen kulturellen Verwerfungen einherzugehen. Lebe doch die vietnamesische Jugend, jubelt Zitelmann, getreu der hedonistischen Devise „Carpe diem“ ganz in der Gegenwart und erfreue sich an Smartphones und anderem Wohlstandströdel. Die Verwandlung zum „eindimensionalen Menschen“ (Herbert Marcuse) scheint also programmiert. (ob)
Rainer Zitelmann: Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers. Wie Nationen der Armut entkommen. FinanzBuch Verlag, München 2023, gebunden, 205 Seiten, 25 Euro
Bismarck. André Farin füllt in bester Tradition als Lehrer in seiner Geburtsstadt Putbus auf Rügen jenes historische Desiderat, das die hohe Geschichtswissenschaft an den Universitäten schon immer lieber den heimatkundlichen „Schulmeistern“ überlassen hat: lokale Betrachtungen wie Farins aktuelle Studie über die drei Aufenthalte Otto von Bismarcks auf der Ostseeinsel. Nach Besuchen des herrschaftlichen Anwesens der Fürsten zu Putbus als Einjährig-Freiwilliger 1838 und als Berater des preußischen Königs 1854 bereits mit hoheitlichen Belangen betraut, widmet Farin vor allem der Zeit Bismarcks 1866 ein längeres Kapitel. Sechs Wochen nach dem Prager Frieden im August, der Preußens Dominanz manifestierte, mußte der preußische Ministerpräsident seine geplante kurze Jagd- und Kurfrische wegen Erkrankung deutlich verlängern. Während dieser Zeit war er nicht untätig und erhob die Rügener Provinz mit den Putbuser Diktaten zum Ort, an dem Verfassungsgeschichte des Nordeutschen Bundes und damit später auch des Reiches geschrieben wurde. (bä)
André Farin: Bismarck auf Rügen. Seine Aufenthalte auf der Ostseeinsel in „Schmierstiefeln weit weg von der Zivilisation“. Edition Rügen, Putbus 2023, broschiert, 158 Seiten, 16,50 Euro