Barry Goldwater, einer der Ideengeber einer neoliberal ausgerichteten „modernen“ Republikanischen Partei, die unter Ronald Reagan politische Macht und kulturelle Hegemonie erlangte, brachte 1960 das konservative Credo auf eine simple Formel: „Konservative betrachten Politik als die Kunst, die maximale Freiheit für die Einzelnen zu erreichen, die noch mit der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung vereinbar ist.“
Mit seinen weltanschaulichen Fixpunkten, der Hochschätzung vor allem ökonomisch frei handelnder Individuen und dem Ideal des Nachtwächterstaats als Garanten ungeregelter Marktbeziehungen, die automatisch auch alle sozialen Probleme lösen würden, steht Goldwater in der Tradition des mit Edmund Burke 1790 einsetzenden liberalkonservativen Pragmatismus. Vermittelt von Publizisten wie Russell Amos Kirk und Roger Scruton hallt dieser Verschleierungszusammenhänge stiftende Lifestyle- oder „Gärtnerkonservatismus“ (Armin Mohler) heute noch bis in die Rhetorik der christdemokratischen „Werteunion“ nach.
Plädoyer für die Rückkehr zum Primat des Gemeinwohls
Im letzten Jahrzehnt jedoch gewinnen in der angloamerikanischen Welt lautstarke politische Philosophen Profil, die sich von dieser Art Konservatismus verabschieden, weil er die brutalen ökonomischen und sozialen Fragen ignoriert, die kapitalistisch organisierte Gesellschaften prägen. Mit dem Politologen Patrick Deneen von der katholischen Privatuni Notre Dame (South Bend/Indiana), dem Rechtstheoretiker Adrian Vermeule (Harvard) und dem israelischen Religionswissenschaftler Yoram Hazoni (Jerusalem) präsentiert ihr Kritiker Charles King (Georgetown-Universität) gleich drei dieser für ihn so gefährlichen „wahren Konservativen“, die nicht mehr von abstrakten Freiheiten ahistorisch konstruierter „Individuen“, sondern von konkreten „obszönen Vermögensungleichheiten“ fabulieren und deswegen, wie Deneen in seinem gerade veröffentlichten „Regime Change“, einen radikalen Politikwechsel fordern (Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/2023).
Was in den USA nach 1945 als „Konservatismus“ durchging, so Deneen, sei heute als Bewegung entlarvt, die zur Erhaltung des Überlieferten und Bewährten im fundamentalen Sinn niemals in der Lage noch grundlegend engagiert war und sich stattdessen mit der liberalen Anarchie der „Tech-, Finanz-, Pharma- und Pornographie-Riesen“ arrangiert habe, gegen die Vermeule im Namen der „somewhere people“ fast sozialistisch streng für eine Rückkehr zum Primat des Gemeinwohls plädiert. Diesem seien auch „libertäre Eigentums- und Wirtschaftsrechte“ der Anywheres der „Laptop-Klasse“ zu opfern. Nur mit solchen drakonischen Maßnahmen, die für Hazony, den Zionisten und ehemaligen Berater Benjamin Netanjahus, auf eine Restauration des religiös basierten „Nationalstaats als Tugend“ (Graz 2020) hinauslaufen, könnte die westliche Zivilisation der „Hölle liberaler Ordnung“ entkommen.