Von vielen Konservativen noch immer als Geballer, nerdig oder Stubenhockerei verkannt, haben Video- und Computerspiele längst die Film- und Musikindustrie überholt. Einige Tophits wie das Mitte November pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschienene „Call of Duty: Modern Warfare 3“ lassen regelmäßig große Kino-Blockbuster umsatztechnisch hinter sich. Damit einher gehen eine enorme Reichweite und Wirkung auf junge Menschen. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom spielen 91 Prozent der 16- bis 29jährigen zumindest hin und wieder Video- und Computerspiele. Bei den 30- bis 49jährigen sind es immerhin noch 74 Prozent.
Dauerbrenner wie „Counter-Strike“, von dem nach jahrelangem Warten Ende September eine Fortsetzung erschienen ist, prägen seit über zwei Jahrzehnten die Popkultur, haben Jugendslang à la „Lol“, technische Neuerungen von W-Lan-Partys bis Online-Gaming und völlig neue Branchen wie E-Sports mitbegründet. Kein Wunder, daß der Kulturkampf mit diversen Zeitgeistern auch in der Gaming-Industrie entflammt ist. Längst befinden sich die großen Entwickler im Visier der Wokeness – und immer mehr Studios geben nach. In „Horizon Forbidden West“ (2022) gibt es Lesbenküsse, in „Dead Space“ (2023) genderneutrale Toiletten, in „Sims 4“ (2023) umoperierte Transgender und in „Baldurs Gate 3“ (2023) wild auswählbare Genitalien – Fiktion in der Fiktion.
Nonbinäre Charaktere und gezielte Ansprache junger Gamer
In der Fußballsimulation EA Sports FC 24 können auch weibliche Kickerinnen ausgewählt werden. Wie viele Gamer wohl lieber Alexandra Popp anklicken als Messi, Haaland oder Ronaldo? Gemischte Teams sind ebenfalls möglich. Die Stärke der Frauen und Männer soll sich dabei praktischerweise angleichen – biologiefeindliches Wünsch-dir-was im digitalen Zeitalter.
Neben Geschäftszahlen versuchen Unternehmen wie Electronic Arts (EA) mittlerweile mit ESG-Scores zu punkten, die ökologische und soziale Faktoren wie Nachhaltigkeit bewerten. So betont EA in seinem Impact Report 2023 seine „fortgesetzte Führungsrolle beim inklusiven Design“, in dem weibliche, behinderte und multiethnische Charaktere längst normal sind – in den Spielen wie in den Programmiererteams. Die geschaffenen künstlichen Universen spiegeln die Diversität in den internationalen Konzernen wider, auch wenn sie beispielsweise zu einem historischen Game-Setting überhaupt nicht paßt.
Dies verstört zunehmend die Nutzer. Eine ganze Youtube-Szene beschäftigt sich mittlerweile mit woken Videospielen. Im Herbst ging der Streamer „HeelvsBabyface“ mit einer Wutrede viral, in der er sich darüber aufregt, daß man in dem Zukunfts-Rollenspiel „Starfield“ (2023) die geschlechtsneutralen Pronomen „they/them“ für nichtbinäre Figuren bestimmen kann. Das alles langweile ihn nur noch, schreit der Brite in die Kamera, und er ist mit seiner Kritik nicht allein. In Foren und Kommentarspalten warnen Gamer immer wieder davor, die Einbindung aktueller Identitätspolitik in ferne Grafikwelten störe nicht nur die digitale Simulation, sondern auch den besonderen Reiz, in Computerspielen der Realität und ihren Ideologien entfliehen zu können.
Allerdings könne man „nicht fordern, daß Games Politik vollkommen exkludieren und nur Spaß machen sollen“, sagt dagegen Mick Prinz von der linkradikalen Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) der FAZ. „Spiele sind auch immer von politischen Prozessen beeinflußt und greifen gesellschaftliche Entwicklungen und Rollenbilder auf. Das wird von vielen bewußt ignoriert und als Wokeness bezeichnet.“ In der Tat finden reale Konflikte wie der gegen Rußland oder gegen den islamistischen Terrorismus Einzug in zahlreiche Action- und Shootergames. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich umstrittene Trennlinien entlang von Diversity und LGBTQ dort auch wiederfinden.
Gerade Konservative hinken auf dem Pixelschlachtfeld hinterher, während links seit längerem aufgerüstet wurde. Bereits 2020 hat die AAS in Kooperation mit der Lotto-Sport-Stiftung Niedersachsen die Initiative „Good Gaming – Well Played Democracy” ins Leben gerufen. Das Projekt analysiert, „wie rechts-alternative Akteur*innen zunehmend versuchen, auf Gaming-Plattformen eine menschenverachtende Stimmung zu schüren“ und entwickelt „Kampagnen, die in Kooperation mit passionierten User*innen eine klare Haltung transportieren: Für eine starke digitale Zivilgesellschaft im Gaming!“
Dies beinhaltet neben Theoriearbeit die Einbindung von reichweitenstarken Influencern, die gezielte manipulative Ansprache von Spielern in Gaming-Chats und sozialen Netzwerken sowie die Werbung für vermeintlich deradikalisierende Maßnahmen bei Entwicklern. Damit dürfte auch die Einflußnahme auf Spiele-Inhalte gemeint sein. 2022 unterstützte das Familienministerium „Good Gaming“ mit 198.000 und in diesem Jahr mit 207.228 Euro.