© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/23 / 08. Dezember 2023

Zur generationellen Weitergabe von Gewalterfahrungen
Geerbte Angst?
(dg)

Todesängste und Gewalterfahrungen, wie sie aktuell mit dem Ukrainekrieg, dem Hamas-Terror und Israels militärischen Reaktionen darauf einhergehen, hinterlassen bei den Betroffenen häufig tiefe seelische Narben. Solche Effekte ließen sich an Holocaust-Überlebenden noch Jahrzehnte nach dem Ende ihres Martyriums nachweisen. Ob sie ihre psychischen Verletzungen nicht sogar ihren Kindern „vererben“ können, wurde seit den 1970ern in der Trauma-Forschung diskutiert. Neuere großangelegte Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, daß in Familien von Holocaust-überlebenden diese „generationelle Weitergabe von Traumata“  nicht die Regel ist. Selbst die Erfahrung eines Völkermords müsse bei den Nachkommen der Opfer nicht zwangsläufig zu gravierenden Störungen führen. Es könne auch der gegenteilige Effekt eintreten, wie der Psychologe Abraham Sagi-Schwartz (Uni Haifa) in einer jüngst publizierten Studie feststellt: Soweit es Probanden gelungen war, erlebte Greueltaten zu verarbeiten, erhöhte sich ihre seelische Robustheit, so daß in der Folgegeneration nichts mehr „nachhallte“. Für andere Traumatisierungen scheine dies aber nicht zu gelten, wie der Forschungsüberblick des Wissenschaftsjournalisten Frank Luerweg zeigt (Psychologie heute, 12/2023). So sei heute gut dokumentiert, daß Opfer von Kindesmißhandlung als Eltern im Vergleich zur Normalbevölkerung signifikant häufiger zu Tätern werden. Ob deren Gewalterfahrung allerdings eine „molekulare Gravur“ in den Erbanlagen ihrer Kinder hinterlasse und deren Risiko für psychische Störungen erhöhe, sei unter Trauma-Psychologen umstritten. 


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