Seit 1937 werden im brandenburgischen Fürstenwalde unter wechselnden Firmennamen Reifen hergestellt. 2027 soll nun endgültig Schluß sein: Der US-Konzern Goodyear will die Produktion schrittweise einstellen. Nur die Herstellung von Gummimischungen, die dann in andere Werke in Europa, dem Nahen Osten und Afrika geliefert werden, bleibe erhalten. Das mehrfach modernisierte Werk im hessischen Fulda, wo seit 1906 Reifen produziert werden, soll sogar schon bis zum Ende des dritten Quartals 2025 komplett schließen. Insgesamt 1.750 Goodyear-Arbeitsplätze gehen so verloren.
Nur zwei Wochen später kam die nächste Hiobsbotschaft: Auch der französische Konkurrent Michelin kündigte einen Kahlschlag in Deutschland an. Der Konzern werde seine Fabriken in Karlsruhe und Trier bis 2025 schrittweise schließen, erklärte Nordeuropachefin Maria Röttger. Zudem würden im Michelin-Werk im saarländischen Homburg Teile der Produktion eingestellt. Durch importierte Billigreifen verliere man zunehmend Marktanteile. Die sinkende Nachfrage führe zur Unterauslastung der Produktionsstandorte, was die Herstellkosten zusätzlich belaste. „Daher gibt es keine Perspektive für diese Aktivitäten“, so Röttger weiter.
Insgesamt seien1.532 Michelin-Mitarbeiter betroffen. Nur das Pkw-Reifenwerk im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach ist vorerst nicht von den Restrukturierungsmaßnahmen betroffen. Zudem will Michelin ein Kundenkontaktzentrum von Karlsruhe nach Polen verlagern, was weitere 122 Menschen trifft. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (BCE) hofft dennoch, viele Arbeitsplätze retten zu können: „Wir arbeiten an Alternativkonzepten für die betroffenen Standorte Karlsruhe, Trier und Homburg und Überlegungen, wie sich dort die Produktivität steigern lasse, erklärte Matthias Hille, Leiter des BCE-Bezirks Mainz. „Mitte oder Ende Januar wollen wir dem Konzern Ideen vorstellen.“ Man sei auch in Gesprächen mit der Politik. Doch die Aufgabe gestaltet sich schwierig, denn bei Michelin gibt es keine Tarif-Klausel, die betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Einige Mitarbeiter könnten möglicherweise in Bad Kreuznach unterkommen. Doch auch das dortige Werk hat mit einer schwankenden Auftragslage zu kämpfen.
„Es ist einfach keine Perspektive mehr da“
Nach den vier angekündigten Schließungen und den Wackelkandidaten Bad Kreuznach und Homburg bleiben in Deutschland nur noch sechs weitere große Reifenwerke erhalten: Hanau, Wittlich und Riesa (Goodyear), Breuberg/Odenwald (Pirelli), Korbach/Hessen (Continental) und Heidenau/Sachsen (Ex-Pneumant). Bisher versuchten die Hersteller in Europa, mit besseren Produkten wie Reifen mit Gummi-Mischungen, die langlebiger sind und weniger Abrieb erzeugen, gegenzusteuern. Man habe in den vergangenen zehn Jahren mehr als 500 Millionen Euro in die Modernisierung der deutschen Werke investiert, um wettbewerbsfähig zu bleiben: „Doch es ist einfach keine Perspektive mehr da.“ Und: „In Europa sind allein die Energiekosten in den letzten fünf Jahren um 260 Prozent gestiegen. Verglichen mit Nordamerika und China sind unsere Gesamtkosten der Produktion signifikant höher“, heißt es bei Michelin.
„Die prominenten Beispiele für Standortschließungen und Industrieabwanderungen der vergangenen Tage und Wochen zeigen eindringlich, daß insbesondere die energiepolitischen Rahmenbedingungen am Hochlohn-Standort Deutschland selbst innerhalb Europas nicht mehr wettbewerbsfähig sind“, warnt Michael Klein, Präsident des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie (WDK). „Die Industrie ist in einer Abwärtsspirale. Deutschland braucht ein umfassendes Standortprogramm“, sekundiert Michelin-Managerin Röttger. Es ist nicht mehr ausreichend, mit Absichtserklärungen zu agieren. Wir brauchen eine Industriestrategie, die Mittelstand und Großunternehmen mit einbezieht – und dem müssen Taten folgen.“ Goodyear, eines der größten Reifenunternehmen der Welt mit rund 74.000 Mitarbeitern in 57 Werken in 23 Ländern, beklagt auch den verschärften Wettbewerb: „Diese Situation hat sich durch den Zuwachs von Billigimporten aus Asien weiter verschärft, die eine erhebliche Belastung für die europäischen Hersteller darstellen.“
Die in Hannover beheimatete Continental AG (Konzern-Motto: „The Future in Motion“) hat bereits 2020 alle Hoffnung aufgegeben und ihr zweitletztes deutsches Reifenwerk in Aachen geschlossen. Die Produktion wurde in „Best Cost“-Länder verlagert. Davon gibt es allein in Europa fünf: Frankreich, Portugal, Rumänien, die Slowakei und die Tschechei. Daher kann die Konzernsparte Continental Tires den Aktionären nun bei einem mittelfristigen Umsatzziel von 17 bis 18 Milliarden Euro eine Gewinnmarge von bis zu 16 Prozent versprechen. Und sollten auch in Europa insgesamt die Energie- und sonstigen Kosten steigen, hat Continental in Asien und Amerika nicht nur einen Fuß in der Tür: mit Werken in China, Indien, Malaysia, Sri Lanka und Thailand sowie Illinois, Indiana, Mississippi, South Carolina, Mexiko, Braslien und Ecuador. Auch Goodyear und Michelin sind längst global aufgestellt. Daher wird sich die Abwanderung der deutschen Kautschukindustrie weiter fortsetzen.
Wirtschaftsverband der Kautschukindustrie: wdk.de