© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/23 / 08. Dezember 2023

Vereint gegen das „Bösartige“
Die Nato und die Balkanstaaten: Nur das Kosovo, Bosnien-Herzegowina sowie Serbien zieren sich vor dem Nato-Beitritt
Hans-Jürgen Georgi

Stolz betonte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Rahmen des Nato-Ukraine-Rates auf Außenministerebene Ende November, daß „die Ukraine der Nato nun näher“ sei „als je zuvor“, und fügte hinzu, daß „wir sie auf dem Weg zur Mitgliedschaft weiterhin unterstützen werden“. Die Ukraine habe im vergangenen Jahr die Kämpfe um Kiew, Charkiw und Cherson gewonnen. Sie füge Rußland „weiterhin schwere Verluste zu“. Am wichtigsten sei jedoch, daß sich die Ukraine als souveräne, unabhängige und demokratische Nation durchgesetzt habe. „Das ist ein großer Sieg“, so der Norweger. 

Serbien schwankt zwischen Nato, Rußland und China 

Während in der Ukraine ein blutiges Ringen um Einflußzonen und Nato-Erweiterung stattfindet, hat der nordatlantische Verteidigungspakt seinen Einfluß auf dem Balkan während und nach den Jugoslawien-Kriegen schon in den 1990er Jahren festgeklopft: durch die Präsenz von Streitkräften im Zuge der UN-Mission KFOR im Kosovo und durch die Nato-Truppen auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina. Mit dem Nato-Beitritt der Balkanstaaten Rumänien und Bulgarien im Jahr 2004 schien das Sicherheitsbedürfnis der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten erfüllt. 

Doch fand die Nato-Erweiterung auf dem Balkan ihre Fortsetzung. Während 2009 die Aufnahme Albaniens von der dortigen Bevölkerung mit 95 Prozent Zustimmung aufgenommen wurde, stieß sie bei den Kroaten nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung, es gab sogar Initiativen, ein Referendum über den Beitritt abzuhalten. Dazu kam es nicht, und die Aufnahme wurde vollzogen. 

Der Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen über Nato-Beitritte waren fortan Grenzen gesetzt. Über den  Nato-Beitritt Montenegros sollte ein Referendum abgehalten werden. Aber die proeuropäische Regierung verhinderte dies aus Furcht erfolgreich.  Dem Nato-Beitritt war ein harter Kampf vorangegangen, denn Montenegro hatte durchaus gute Beziehungen zu Rußland. Im Jahr 2013 soll Rußland einen Stützpunkt in dem Adriahafen Bar gefordert haben, berichtete das serbische Nachrichtenmagazin NIN, woraufhin die Amerikaner drohten, einen Korruptionsskandal öffentlich zu machen, in den die Familie des damaligen Ministerpräsidenten Milo Djukanović verwickelt sein sollte. Unmittelbar vor der Wahl im Jahr 2016 kam es zum Versuch eines Staatsstreiches, an dem Serben, Montenegriner und Russen beteiligt waren. Er schlug fehl, und Montenegro trat 2017 der Nato bei.

Damit erreichte die Nato ein wichtiges strategisches Ziel. Mit dem Anteil Montenegros wurde die Küste des nördlichen Mittelmeeres bis zur russisch-estnischen Grenze vom nordatlantischen Verteidigungsbündnis beherrscht. Nachdem auch Nordmazedonien durch die Namensänderung im Jahr 2020 Mitglied wurde, gehört fast der gesamte Balkan zur Nato an. 

Doch drei Länder sind immer noch nicht Teil der Allianz. Das kleinste Land, das Kosovo, nicht einmal in seiner selbsternannten Unabhängigkeit von der Mehrheit der Staaten der Welt anerkannt, möchte gern Mitglied werden. Doch selbst fünf EU- und Nato-Staaten verweigern der ehemaligen serbischen Provinz ihre völkerrechtliche Anerkennung. Eine Aufnahme ist momentan also ausgeschlossen. Dennoch ist das Kosovo keineswegs Nato-frei. Seit dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzung mit Serbien im Jahr 1999 ist ein festes Kontingent von Nato-Soldaten im Rahmen der UN-Mission KFOR hier stationiert. Gerade die Kosovo-Serben fordern eine weitgehende Autonomie, wie sie 2013 in einem Vertrag vereinbart wurde. 

Unterstützung erhalten sie von der Republik Serbien, die eine Anerkennung seiner abtrünnigen Provinz ablehnt, so wie es in ihrer Verfassung verankert ist. In dieser Verfassung ist auch eine militärische Neutralität festgeschrieben, und so gehört Serbien auch nicht der Nato an. Allerdings nimmt es seine Neutralität durchaus ernst und hat sowohl zu Rußland, China als auch der Nato gute Beziehungen, die auch militärische Unterstützung wie Lieferung moderner Waffen und gemeinsame Übungen beinhalteten. 

Nato gibt nicht auf, um Bosnien-Herzegowina zu werben

Kein serbischer Politiker kann derzeit einen Schritt in Richtung Mitgliedschaft wagen. Waren es im Jahr 2018 „nur“ 68 Prozent der Serben, die einen Nato-Beitritt ablehnten, so sind es dieses Jahr schon 85 Prozent. Eine durchaus komplizierte Lage hinsichtlich eines Nato-Beitritts zeichnet sich auch in Bosnien-Herzegowina ab. Der Drei-Völker-Staat ist zwar schon im Nato-Programm ANP zur Aufnahme bereit, dem aber widersetzen sich die Serben in der Entität Republika Srpska (RS). Auch sie haben im Jahr 2017 ihre militärische Unabhängigkeit proklamiert. 

Doch Stoltenberg gibt nicht auf, um Bosnien-Herzegowina zu werben. „Ihre Sicherheit ist wichtig für die westliche Balkanregion und für Europa“, betonte er am 20. November auf der Pressekonferenz mit Borjana Krišto, Vorsitzende des Ministerrats von Bosnien-Herzegowina. Parallel äußerte er seine Besorgnis über die „sezessionistische und spaltende Rhetorik und die bösartige ausländische Einmischung, auch von seiten Rußlands, die die Stabilität zu untergraben und Reformen zu behindern“ drohe. 

Auch im Rahmen des Nato-Ukraine-Rates und unter Hinweis des von Rußland ausgehenden Migrantenzustroms im Norden Finnlands warnte er: „Nun, ich denke, dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Rußland viele verschiedene Instrumente einsetzt, um Druck auf seine Nachbarn auszuüben. Wir haben gesehen, wie es Energie einsetzt, wir haben gesehen, wie es Cyberangriffe einsetzt, wir haben gesehen, wie es verschiedene Arten von geheimen Operationen einsetzt, um zu versuchen, unsere Demokratien zu untergraben“, erklärte Stoltenberg und ergänzte: „Ich habe gerade den Balkan besucht, wo sie [unhörbar] präsent sind. Und sie haben auch versucht, einige der Regierungen auf dem westlichen Balkan zu untergraben, nicht zuletzt vor einigen Jahren in Montenegro.“