© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/23 / 01. Dezember 2023

„Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“
Vor 50 Jahren starb David Ben-Gurion: Der zionistische Pionier war 1948 Mitbegründer des Staates Israel und später mehrfach Ministerpräsident
Jürgen W. Schmidt

Am 1. Dezember 1973 verstarb in Ramat Gan in Israel David Ben-Gurion. Von 1948 bis 1953 und noch einmal von 1955 bis 1963 war Ben-Gurion israelischer Ministerpräsident und zugleich Verteidigungsminister. Geboren wurde er als David Josef Grün am 16. Oktober 1886 in der Kleinstadt Plonsk, 60 Kilometer nordwestlich von Warschau im damaligen Russisch-Polen gelegen. Bereits als Jugendlicher begeisterte er sich für den Gedanken des Zionismus. 1906 wanderte er deshalb nach Palästina aus. Hier arbeitete er zuerst in Orangenplantagen, später als Journalist und nahm den Familiennamen „Ben-Gurion“ an. 1918 trat Ben-Gurion in die „Jüdische Legion“ der britischen Armee ein, wirkte in der Zwischenkriegszeit als Parteiführer linkszionistischer Parteien und als Gewerkschaftsführer. Obwohl als Politiker moderat, drängte er beharrlich auf die Schaffung eines eigenständigen jüdischen Staates. Politisch war er dabei extrem wendig. Ben-Gurion arbeitete während des Zweiten Weltkriegs eng mit den Briten zusammen, welche er gleichwohl nach Kriegsende als Hauptfeinde bei der Schaffung eines jüdischen Staates betrachtete und auch benannte. 

Zudem nahm Ben-Gurion politische Unterstützung und Waffenhilfe von jeder Seite an, die ihm Hilfe anbot. Er scheute sich nicht, an Josef Stalin am 6. November 1948 ein Danktelegramm zu richten, in welchem er diesem versicherte, das israelische Volk werde der Sowjetunion niemals die Hilfe vergessen, welche ihm im Jahr 1948 gewährt wurde. Aus den Memoiren von Golda Meir ist bekannt, wie in der damaligen jüdischen Führung 1948 über den Entschluß des Zeitpunktes der Unabhängigkeitserklärung Israels gerungen wurde. Man wußte nur zu genau, daß dann sofort nach dem britischen Truppenabzug die Armeen von fünf arabischen Staaten über den neubegründeten Staat Israel herfallen würden, welcher damals nur 650.000 Menschen an Bevölkerung zählte und militärisch schwach war. Intern berechnete man die Chance des staatlichen Überlebens nur mit Fünfzig/Fünfzig. Doch Ben-Gurion blieb damals unbeugsam, und er persönlich verlas am 14. Mai 1948 im Tel-Aviver Museum am Rothschild-Boulevard die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Bei dieser Gelegenheit richtete er an die im neuen Staat Israel lebenden Araber den nachfolgenden Aufruf: „Selbst inmitten der seit Monaten gegen uns gerichteten heftigen Angriffe rufen wir die in Israel lebenden Söhne des arabischen Volkes auf, Frieden zu halten und ihre Rolle beim Aufbau des Staats zu spielen, auf der Basis voller und gleichberechtigter Staatsbürgerschaft und gebührender Repräsentation all seiner provisorischen und permanenten Institutionen.“ 

Leider wurde damals, wie die aktuellen Ereignisse beweisen, diese vor 75 Jahren in Richtung der dort lebenden Araber ausgestreckte jüdische Hand nicht ergriffen. Als israelischer Premierminister legte Ben-Gurion großen Wert auf die Entwicklung Israels hin zu einem wirtschaftlich wie militärisch lebensfähigen Staat. Besonders positiv zu bewerten ist Ben-Gurions Beitrag zur Wahrung demokratischer Verhältnisse in Israel, wovon sein jahrzehntelanges Drängen auf endgültige Aufklärung der „Lawon-Affäre“ zeugt. Bei dieser „False Flag“-Geheimdienstoperation hatten einige israelische Geheimdienstler unter klammheimlicher Billigung durch einige Politiker hinter dem Rücken der Regierung die innenpolitische Situation im benachbarten Ägypten mittels Terroroperationen destabilisieren wollen. Als mitunter umstrittener, doch allseits geachteter „Elder-Statesman“ verstarb Ben-Gurion 1973. Sein politisches Vermächtnis lautete: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“