© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/23 / 01. Dezember 2023

„Wer wir sind“
Die ARD-Serie „Wer wir sind“ handelt von sich radikalisierenden Umwelt-Aktivisten.
Joachim Frey

Ein Camp von Umweltaktivisten vor einer Konzernzentrale, fröhliche Stimmung, viele Banner. Die jugendlichen Protestler, unter ihnen die Protagonistin Luise (Lea Drinda), begrüßen und umarmen sich. Sie dekorieren ihren Prostest gegen die Umweltverschmutzung, gegen was auch sonst, sind friedlich. Das kippt jedoch schnell, sobald sich nämlich der Chef des Recyclingunternehmens Daniel Noll (Jörg Schütt­auf) zeigt. 

Die Vorwürfe der Aktivisten prallen an dem „überraschenderweise“ weißen Mann Mitte 50, man darf davon ausgehen, daß er heterosexuell ist, auch wenn es nicht explizit gesagt wird, ab. Daraufhin eskaliert durch eine Abfolge schon fast parademäßig präzisierter Auftritte, pöbelnder Hools, enthemmter Polizei und gewaltbereiter Linker die Situation und bildet die Grundlage der weiteren Geschehnisse. In deren Folge streift die in der Mediathek einsehbare Serie verschiedenste Personen, die alle phänotypisch für bestimmte Gruppen stehen.

Pattie (Han Nguyen), die Tochter von Immigranten, die seit Jahrzehnten einen Blumenladen betreiben. Vanessa (Mina-Giselle Rüffer), schwierigsten sozialen Verhältnissen durch eigene Kraft entstiegen, und ihr Bruder Dennis (Florian Geißelmann), der trotz seines guten Kerns der Welt nur mit Gewalt begegnen kann und der mit Abstand bestgespielte und interessanteste Charakter der Serie ist. Niklas (Joshua Hupfauer), der wohlstandsverwahloste, gewaltbereite Linksextreme. Eine Gruppe rechtsextremer pöbelnder Hooligans. Der schwarze Politiker, dessen Sohn Felix (Chieloka Jairus) Anführer der Umweltaktivisten ist. Die Eltern von Luise, Catrin (Franziska Weisz), karrierebewußte Hauptkommissarin, und Alexander (Shenja Lacher), stets bemühter Sozialarbeiter. Sie alle spielen in dem Grau Halles, das in dieser Darstellung weniger seiner Realität entspricht als vielmehr der Vorstellung eingefleischter Wessis, wenngleich die Serie, deren erste Staffel bis jetzt sechs Folgen zählt, vom ortsansässigen MDR gedreht wurde. Im Grunde genommen wird hier durch die Geschichte von Individuen die Geschichte von Klischees erzählt.

Untaten für den Umweltschutz werden natürlich gerechtfertigt

Und sie erzählt von Jugendlichen, die mit sich selbst und ihrer Umwelt im Clinsch liegen. Von denen jeder seine Probleme hat und von denen sich alle in dieser Welt verloren haben, zumal jeder von ihnen mit anderen Problemen und einem noch kaputteren Familienhintergrund daherkommt. 

Vor allem aber erzählt sie vom Konflikt der Generationen. Denn es ist die Generation ihrer Eltern, mit der die der jungen Leute ihre größten Probleme hat. Sie versteht die Eltern nicht, so wenig wie diese sie versteht. Die Probleme der Altersgruppen und ihre Denkweisen seien so verschieden, so wird suggeriert, daß sie gar nicht zusammenfinden können. Dieser Konflikt verschärft sich im Verlauf der Handlung mehr und mehr. Das alles geschiet, vor der Kulisse einer sich immer weiter radikalisierenden Umweltschutzgruppe, die an Fridays for Future oder sogar Exctinction Rebellion erinnern könnte. 

Die starken Charaktere reißen mit, wenn auch nicht immer auf angenehme Art. Wer von der ARD-Serie eine linke Moralpredigt erwartet, wird belohnt. Es wird diskutiert, daß gewisse Untaten, besonders im Umweltschutz, jede Form von Reaktion rechtfertigen, inklusive eines Revival von RAF-Methoden. Denn die Verflechtungen zwischen skrupellosen Unternehmern und der Politik sowie der Justiz – kurzum „das System“ – seien so korrupt, daß es mit legalen Mitteln nicht besiegt werden könne.

Die Untaten der Protagonisten sind hingegen immer gerechtfertigt, durch das hehre Ziel, das sie verfolgen, durch die so menschlichen Schwächen, die wir doch alle haben und durch die Opfer, die vor allem sie bringen. Die Serie legitimiert also schon mal im voraus die erwartbare Radikalisierung der Klimabewegung, bis hin zur Gewalt.