EKD verbietet Corona-kritisches Buch
FRANKFURT AM MAIN. Der Publizist Sebastian Kleinschmidt hat das Vertriebsverbot des von ihm in der Evangelischen Verlagsanstalt mitherausgegebenen Buches „Angst, Politik, Zivilcourage – Rückschau auf die Corona-Krise“ als „in jeder Beziehung inakzeptabel“ kritisiert. Er hoffe, daß die Entscheidung bald zurückgenommen werde, sagte er der evangelischen Nachrichtenagentur idea. Untersagt hat den weiteren Verkauf des Buches in der vorigen Woche das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP). Laut einer Erklärung, in der sich der Verlag auf eine kritische Rezension vom 30. Oktober unter dem Titel „Nicht salonfähig!“ beruft, würden in dem Sammelband „Menschenfeindlichkeit, Demokratieverachtung und Antisemitismus offen propagiert“. Das GEP gehört zu 94 Prozent der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hält selbst eine Mehrheitsbeteiligung an der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig. Herausgeber des seit Juli im Handel erhältlichen und nun verbotenen Buches sind die Publizisten Thomas A. Seidel und Sebastian Kleinschmidt im Auftrag der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden. Diese wurde von den ehemaligen DDR-Dissidenten Ulrich Schacht, Peter Voss und Jürgen K. Hultenreich gegründet. Der promovierte Theologe und Historiker Seidel (65), der auch Vorsitzender der Internationalen Martin-Luther-Stiftung ist, wurde in diesem Jahr mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Kleinschmidt (75) ist Doktor der Philosophie, ehemaliger DDR-Dissident und Chefredakteur der Kulturzeitschrift Sinn und Form sowie erster Ehemann der Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Die 71jährige stand auch im Zentrum der Kritik der Rezension in der evangelischen Zeitschrift Zeitzeichen, auf die sich das GEP bei seinem drastischen Schritt beruft. Die Autoren Kristin Merle und Hans-Ulrich Probst warfen ihr vor, „Mitglied der sog. Werteunion“ zu sein und sich „im Umfeld der Neuen Rechten und der AfD“ zu engagieren. Auch daß sie mit dem Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, findet Erwähnung. Denn dieser werde „von der neurechten Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung und der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT“ vergeben. Das Verbot begründet der EKD-Verlag GEP damit, Merle – die im Gottesdienst auch schon über das „Erhellende“ der Corona-Lockdowns und das „Unsolidarische“ an den „Außengrenzen der EU“ predigte – und Probst hätten „sorgfältig belegt, daß wesentliche Passagen des Buches ‘Angst, Politik, Zivilcourage’ demokratiefeindliche, geschichtsrevisionistische, verschwörungsideologische und antisemitische Narrative bedienen“. Dies sei weder mit „der evangelischen Publizistik vereinbar noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt“. Konkret geht es bei den Vorwürfen um zwei kurze Abschnitte im Beitrag des Arztes und Gesundheitspolitik-Publizisten Erich Freisleben, der „von superreichen Oligarchen“ schreibt, „die eine Welt erträumen, in der Mensch und Maschine verschmelzen und sich der Herrschaft einer von ihnen programmierten künstlichen Intelligenz unterordnen“. Außerdem kritisiert er die „Machtfülle der Medienkonzerne und deren Finanziers“. Beides seien, so die Rezensenten Merle und Probst, implizit „antisemitische Klischees“. Eine weitere kurze Passage betrifft den Aufsatz des Buchautors Heimo Schwilk. Er hatte geschrieben: „Irgendwie sind wir als ehemalige, allerdings eher kleinformatige Kolonialisten verpflichtet, all den korrupten Regierungen in Afrika und Lateinamerika finanziell unter die Arme zu greifen, um uns ein bißchen besser zu fühlen. Nebenbei soll die hochmoralische Bundesrepublik an immer mehr Länder Reparationen für lange zurückliegende Kriegszerstörungen bezahlen. Das schlechte Gewissen läßt sich nämlich auch anzapfen. Wie das geht, haben uns die Erben der israelischen Opfer der Olympischen Spiele von München 1972 perfekt vorgeführt. Aber schon stehen andere Länder Schlange.“ Dies sei, so der EKD-Verlag, eine „zutiefst antisemitische Aussage“. Das Buch würdigt im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Grundrechtseinschränkungen während der Corona-Politik auch „Profile der Furchtlosigkeit“ – darunter die NS-Widerstandskämpfer Sophie Scholl und Dietrich Bonhoeffer. Schwilk hat für diesen Abschnitt einen Beitrag über Martin Luther beigesteuert, dessen Biograph er ist. Der Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Universität Leipzig, Rochus Leonhardt, hatte in einer Erwiderung auf die Rezension den Autoren Merle und Probst vorgeschlagen, „über die Frage einer Aufarbeitung des staatlichen und kirchlichen Umgangs mit der Corona-Krise einmal wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen“. Eine Antwort auf seinen offenen Brief hat der 58jährige, der einen „theologischen Rückblick auf die Corona-Krise“ für den Band verfaßte, nie erhalten. (fh/tha)