Die flüchtige Verkehrsdurchsage im Radio könnte auch eine politische Verheißung sein: „Die linke Fahrspur ist gesperrt, bitte fahren Sie rechts!“ Stunden zuvor noch wurde dort, im Mitteldeutschen Rundfunk, vom Tag der Offenen Tür in der Synagoge von Halle berichtet, deren gesicherte Tür der gestörte Attentäter Stephan B. am 9. Oktober 2019 trotz mehrerer Schüsse nicht hatte aufbrechen können. Im Interview zu hören ist eine Frau, die damals dem Täter direkt begegnet war, als dieser aus dem Auto stieg, aber wegen eines Zahnarzttermins schnurstracks weitergelaufen war ohne sich umzudrehen. Seither sei sie so traumatisiert, daß sie zu viel Angst gehabt habe, diese Straße noch einmal entlangzugehen. Jetzt, da sie es das allererste Mal wieder geschafft hat und gleich die Synagoge betreten will, wünscht ihr der Reporter, der ihr bis eben wegen des Attentäters noch emotional auf den Zahn gefühlt hatte, völlig unvermittelt und in heiterem Ton: „Ja dann, viel Spaß!“ – gerade so, als liefe jetzt gleich der Party-Hit von Right Said Fred („Don’t talk just kiss“) mit der legendären Zeile „The one and only reason is fun, fun, fun“.
In der DDR „blau machen“ (FDJ-Bluse tragen), das Bekenntnis zu massenhaftem Opportunismus.
Unvermittelt tauchten in den vergangenen Tagen Szenen aus meinen frühen Schuljahren an der Polytechnischen Oberschule (POS) „Anne Frank“ Anfang der 1980er Jahre vor mir auf. So der Lehrer, der immer zu Unterrichtsbeginn – belustigt über seinen running gag – dekretierte: „Vertraue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Vermutlich war das die tägliche Dosis versteckter Kritik im Dienst der SED-Diktatur. Laut lachen konnten wir Thälmannpioniere darüber nicht, denn wer den Staat in Frage stellte, für den konnte es sofort ernst werden. Vielleicht waren wir auch schon in der FDJ – in dem Augenblick denke ich, wie in der DDR „blau machen“ (das Tragen der FDJ-Bluse) auch etwas ganz anderes hätte heißen können, das Bekenntnis zu massenhaftem Opportunismus. Diesen forderten unlängst auch die indoktrinierenden „Toleranz-Räume“ im Halberstädter Stadtzentrum ein, wo auf einem Tisch Sprüche geschrieben werden konnten – davon die meisten, da gelöscht, bereits Neumitglieder im CCC (Cancel Culture Club). Noch lesbar war die Botschaft: „Tolerance never rests, not even in the restroom“ und die – offenbar aus einem Sensitivity-Kurs stammenden – Fragen: „Wer darf worüber Witze machen?“ und „Darf ich fragen, woher jemand kommt?“ Welcome to Wokestan!
Viva Argentina! Folgende Anekdote vom Sieg Argentiniens über den DDR-Sozialismus hat inzwischen – via Madrid – auch den neugewählten Präsidenten Javier Milei erreicht: Kurz nach dem WM-Sieg Argentiniens 1978 hatte mich der Staatsbürgerkundelehrer, ein Scharfmacher mit SED-Parteibuch, vor die Klasse zum Verhör zitiert, da ich einen Pullover vom „Klassenfeind“ trüge (Puma) mit eingesticktem Schriftzug von Mario Kempes aus dem „faschistischen“ Argentinien. Nachdem ich aber dem „Verhörer“ wie aus der Pistole geschossen minutiös die Tore des Fußballstürmers zum Weltmeistertitel aufgezählt hatte, konnte er nicht mehr anders – und mußte passen.