© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/23 / 01. Dezember 2023

Geschichtlicher Eiertanz
Die Debatte um den Sklavenhandel hält – einseitig – an: Afrikanische und karibische Staatschefs fordern von Europa Entschuldigungen und Reparationen
Josef Hämmerling

Eine Entschuldigung und viel Geld – mit dieser Forderung eröffnete Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo den sogenannten Wiedergutmachungsgipfel in Accra. „Kein Geld der Welt kann den Schaden wiedergutmachen, der durch den transatlantischen Sklavenhandel und seine Folgen entstanden ist. Aber dies ist eine Angelegenheit, der sich die Welt stellen muß und die sie nicht länger ignorieren kann“, betonte der ghanaische Staatschef. „Noch bevor die Diskussionen über Reparationen abgeschlossen sind, verdient der gesamte afrikanische Kontinent eine förmliche Entschuldigung der am Sklavenhandel beteiligten europäischen Nationen“, fügte er hinzu. 

Hierzu müsse es einen Schulterschluß aller afrikanischen Staats- und Regierungschefs mit der Karibischen Gemeinschaft (Caribbean Community, CARICOM) geben, die diese Forderung schon seit längerem erhebt. Die CARICOM besteht aus 14 Vollmitglieder-Staaten und einem britischen Überseegebiet. 

In ihrer Eröffnungsrede hatte CARICOM-Generalsekretärin Carla Barnett die Zusammenarbeit zwischen Afrika und der Karibischen Gemeinschaft als „bahnbrechende Entwicklung“ bezeichnet. Die Konferenz von Accra sei „eine einzigartige Gelegenheit, die karibischen und afrikanischen Bemühungen um Wiedergutmachung zu synchronisieren“. Ebenfalls schlug Barnett die Einrichtung eines gemeinsamen Rechtsausschusses der afrikanischen und karibischen Staaten vor. Damit könne man mit einer Stimme sprechen, um Reparationen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich des Völkermords an Eingeborenen und des transatlantischen Sklavenhandels, zu fordern. 

„Die gegen die Menschlichkeit begangenen Verbrechen sind unbestreitbar, und die Schuld für die systematische Ausbeutung, den Raub von Reichtum, Schmerz und Leid, die Apartheid und die psychischen Schäden, die zu anhaltender Armut unter den Menschen afrikanischer Abstammung auf der ganzen Welt geführt haben, sowie für den mit der Kolonisierung einhergehenden Völkermord an den Ureinwohnern ist noch nicht beglichen worden“, betonte Barnett und forderte eine „gerechte Entschädigung für die Nachkommen der Opfer“ und die Garantie der Nichtwiederholung.

Akufo-Addo ergänzte, daß „in der gesamten Zeit der Sklaverei unser Fortschritt in wirtschaftlicher, kultureller und psychologischer Hinsicht unterdrückt wurde. Es gibt Legionen von Geschichten über Familien, die auseinandergerissen wurden. Man könne die Auswirkungen solcher Tragödien nicht beziffern, aber sie müssen anerkannt werden.“ Eine Wiedergutmachung sei die „berechtigte Forderung nach Gerechtigkeit“. Der Präsident der Komoren und Vorsitzende der Afrikanischen Union, Azali Assoumani, bezeichnete Sklaverei und Kolonialismus als „Afrikas dunkle Phase“ und betonte, daß die Auswirkungen immer noch „verheerende Auswirkungen auf unsere Bevölkerung haben.“ 

Entschuldigungen wie die von Steinmeier fördern die Debatte

Vom 15. bis zum 19. Jahrhundert wurden den Teilnehmern der Accra-Konferenz zufolge „unglaubliche 12,5 Millionen Afrikaner gewaltsam entführt, auf europäische Schiffe gebracht und in die Sklaverei verkauft.“ Diejenigen, die die erschütternde Reise überlebten, seien auf Plantagen in Amerika, vor allem in Brasilien und der Karibik, unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt worden und man habe  dort ihre Arbeitskraft zum Nutzen europäischer Siedler und anderer ausgebeutet. Im September hieß es in einem Bericht der Vereinten Nationen, daß die Länder finanzielle Zahlungen und andere Formen der Entschädigung in Betracht ziehen könnten, um historische Ungerechtigkeiten wie die Sklaverei zu beseitigen. Der Bericht wies jedoch darauf hin, daß rechtliche Ansprüche durch den Zeitablauf und die Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Tätern und Opfern erschwert werden.

Bei der Konferenz wurde auch darauf verwiesen, daß der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im November seine „Scham“ über die Verbrechen zum Ausdruck gebracht hatte, die während der Kolonialherrschaft Deutschlands in Tansania begangen wurden.

Bereits Mitte Juli dieses Jahres hatten sich führende Vertreter der EU (mit einer Ausnahme) und der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) auf eine kurze Erklärung geeinigt, in der das „unsägliche Leid, das Millionen von Männern, Frauen und Kindern durch den transatlantischen Sklavenhandel zugefügt wurde“, anerkannt und „zutiefst“ bedauert wurde. Allerdings seien nicht alle europäischen Staats- und Regierungschefs mit dem karibischen Plan der Wiedergutmachung einverstanden gewesen, schrieb Reuters im Anschluß. „Einige halten sich zurück, erkennen aber die Grausamkeiten an, die während der Sklaverei begangen wurden.“ 

Die verabschiedete Erklärung zeigte eine Reihe von Möglichkeiten auf, wie die Regionen ihre Handels- und Sozialbeziehungen ausbauen können, und wurde von den Chefunterhändlern des Gipfels als Erfolg gefeiert, so die Irish Times. 

„Neigung des Westens zur Selbstgeißelung“

Während die Debatte über die Entschädigung für die Sklaverei noch nicht abgeschlossen ist, kommt die Rücküberführung gestohlener Schätze und Artefakte stetig voran. Nigeria ist dabei, Tausende von Metalltafeln, Skulpturen und Objekten aus dem 16. bis 18. Jahrhundert zurückzuholen, die aus dem alten Königreich Benin stammen und ihren Weg in Museen und zu Kunstsammlern in den USA und Europa gefunden haben. Viele der Artefakte stammen ursprünglich aus dem Jahr 1897, als eine britische Militärexpedition Benin City angriff und zerstörte. Nigerias Nachbarland Benin eröffnete im vergangenen Jahr eine Ausstellung seiner Kunstwerke und Schätze, die Frankreich nach zweijährigen Verhandlungen zurückgegeben hatte. 

Und Anfang dieses Jahres entschuldigte sich der Eigentümer der britischen Zeitung The Guardian, die Scott Trust Ltd., für die Rolle seiner Gründer bei der transatlantischen Sklaverei und kündigte im Anschluß einen Fonds für Wiedergutmachungsgerechtigkeit im Wert von mehr als zehn Millionen Pfund an, der in den nächsten zehn Jahren unter anderem Gemeinschaftsprojekte und -programme auf den Karabikinseln unterstützen soll.

Am 8. November erklärte auch der größte Versicherungsmarkt der Welt, Lloyd’s of London, daß er eine „bedeutende Rolle“ bei der Ermöglichung  des transatlantischen Sklavenhandels gespielt habe. Laut Reuters will Lloyd’s of London daher 52 Millionen Pfund für ein „Programm von Initiativen“ bereitstellen. Davon sollen zwölf Millionen Pfund die „Rekrutierung“ und den Aufstieg von Schwarzen und anderen ethnischen Minderheiten im kommerziellen Versicherungsmarkt verbessern. Darunter fielen auch Stipendien für schwarze Universitätsstudenten, hieß es in der Erklärung.Die restlichen 40 Millionen Pfund will Lloyd’s in Regionen investieren, die vom „transatlantischen Sklavenhandel betroffen“ waren.

 Barnett merkte hierzu in Accra an, daß es weitere „wichtige Entwicklungen“ gegeben habe, wie die jüngsten Entschuldigungen der niederländischen Regierung, der Kirche von England, prominenter Familien im Vereinigten Königreich und die Einrichtung von Finanzierungsmechanismen für Wiedergutmachungsprogramme. Juristische Koryphäen, Wirtschaftswissenschaftler und andere Experten müßten sich nun an die wichtige Arbeit machen, den Schaden zu kalkulieren und die zwingenden Argumente für eine Wiedergutmachungsgerechtigkeit weiter darzulegen. 

Von daher sei es von entscheidender Bedeutung, „daß wir die Gunst der Stunde nutzen und dafür sorgen, daß CARICOM, Afrika und andere in der Diaspora mit einer Stimme sprechen, um die gerechte und nachdrückliche Forderung nach Wiedergutmachung für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form des Völkermords an den Ureinwohnern, des transatlantischen Handels mit versklavten Afrikanern und der Versklavung von Leibeigenen voranzutreiben – allesamt Kernaspekte der europäischen Kolonialisierung, die zu tief verwurzelten und fortbestehenden Strukturen von Rassismus und Diskriminierung führten“.

Die Accra-Konferenz beschränkte sich auf die Wiedergutmachung der Nachfahren afrikanischer und karibischer Sklaven und der betreffenden Staaten. Das Schicksal anderer schwarzer und weißer Sklaven wurde außen vor gelassen. Doch Kritik dazu gab es im Anschluß des Accra-Treffens wenig. 

Lediglich Michael Rubin, leitender Wissenschaftler der konservativen US-amerikanischen Denkfabrik American Enterprise Institute, übte im Washington Examiner heftige Kritik: „Sklaverei war in Afrika schon vor der Ankunft der Europäer üblich. Schon Jahrhunderte bevor die Europäer in das Innere Afrikas vordrangen, war die Versklavung von Feinden Teil der afrikanischen Kriegsführung.“ Parallel dazu habe es einen florierenden Sklavenhandel im Nahen Osten gegeben, und auch das Osmanische Reich habe sowohl weiße als auch schwarze Menschen versklavt. 

„Wenn es Akufo-Addo ernst damit meint, historisches Unrecht wiedergutzumachen, wo bleibt dann seine Verurteilung oder seine Forderung nach Entschädigung durch Mauretanien und den Sudan? Wird er die ölreichen Länder Saudi-Arabien, Irak und Iran, die alle in den vergangenen Jahrhunderten von der Sklaverei der Schwarzen profitiert haben, zur Kasse bitten?“, fragt Rubin und legt die Finger auf die Wunde: „Ghanas Schulden belaufen sich heute auf 50 Milliarden Dollar, und das Verhältnis der Schulden zum BIP liegt bei fast 90 Prozent. In nur drei Monaten im vergangenen Frühjahr stieg die Verschuldung um 20 Prozent.“

Anstatt die „Verantwortung für die jahrzehntelange Mißwirtschaft“ anzuerkennen, versuche Akufo-Addo, Europa in die Knie zu zwingen, um sich die „politische Korrektheit und die Neigung des Westens zur Selbstgeißelung zunutze zu machen“. Eine solche Taktik zu legitimieren, sei selbst rassistisch, da sie den Afrikanern die Verantwortung für die Entscheidungen abspreche, die zu ihrem derzeitigen finanziellen Morast geführt hätten, so Rubin. Vor allem sei es nun an der Zeit, Rettungsaktionen abzulehnen, Erpressungsversuche zurückzuweisen und zu erkennen, daß das „Herauspicken der Vergangenheit kein Weg ist, um Freiheit und Wohlstand für die Zukunft zu sichern“.





Milliarden für Afrika 

Stolz postete Kanzler Olaf Scholz  (SPD) nach dem Gipfel „G20 Compact with Africa“(CwA)  am 20. November in Berlin via X: „Deutschland wird bis 2030 mit vier Milliarden Euro die gemeinsame EU-Afrika-Initiative für Grüne Energie unterstützen. Unsere klare Botschaft an die Compact-with-Africa-Staaten: Produziert grünen Wasserstoff – und ihr werdet mit uns verläßliche Abnehmer haben!“ Zu den Compact-Staaten gehören Ägypten, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, die Demokratische Republik Kongo, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Senegal, Togo und Tunesien. Der CwA ist nach Angaben der Bundesregierung eine zentrale Säule der unter der deutschen G20-Präsidentschaft hierfür ins Leben gerufenen G20-Afrika-Partnerschaft. Sie sei der Startschuß für die „gestärkte und langfristig angelegte Zusammenarbeit im Bereich nachhaltiger Energieversorgung und für den Export von grünem Wasserstoff und Derivaten von Afrika nach Deutschland und Europa“. (ctw)

www.compactwithafrica.org